„Gibt’s nochmal Krieg? Kommt der Russe wieder?“ Diese Fragen stellte mir meine Oma, 1905 geboren, bei jedem Besuch. Zwei Weltkriege hatte sie erlebt und Zeit ihres Lebens Angst davor, es könnte wieder einer kommen – was ich in meiner jugendlichen Naivität für ausgeschlossen hielt. Was sollte passieren? Sangen die Menschen nicht Friedenslieder, gingen auf „Atomkraft? Nein Danke“-Demos? Wurde nicht eine Politik der Entente vorangetrieben, mit Glasnost und Perestroika? Gebombt und getötet wurde irgendwo immer. Aber im demokratischen Europa brauchte man keine Angst zu haben. Meine Oma starb 2004. 60 Jahre gut gegangen. Angst vor Krieg habe nun ich. Neben anderen Ängsten, die, wie mir scheint, von Jahr zu Jahr zunehmen.
Zwischen Kinderbett und Beruf
Unseren Kindern bringen wir bei, keine Angst zu haben, um sie später mit Ängsten und Sorgen aller Art zu belasten. Es wohnt kein Monster unter deinem Bett, beruhigen wir den Dreijährigen. Du schaffst es allein die Rutsche runter, ermutigen wir ihn. Um ihm später Angst vor der Zukunft zu machen: Wenn du dein Abi nicht machst, keine Berufsausbildung absolvierst, das Studium vergeigst, dann ...
Angst ist ein intensives Grundgefühl, eine natürliche Reaktion auf potenzielle Bedrohungen. Sie hat zum Überleben der Menschheit beigetragen. Es machte Sinn, beim Anblick des Säbelzahntigers in Panik zu geraten, bis man Methoden fand, sich gegen ihn zu verteidigen. Angst hält uns davon ab, Dummheiten zu begehen. Gleichzeitig beflügelt sie Erfindungen. Es ist also vernünftig, Angst zu haben. Doch manchmal lassen wir uns von ihr unvernünftig gängeln. Als ich vor vielen Jahren durch eine Sender-Umstrukturierung meine Stelle als Redakteurin verlor, geriet ich in Panik. Ich sah mich mit Kind, Hab und Gut unter einer Düsseldorfer Brücke hausen, weil ich die Raten für meine Wohnung nicht mehr aufbringen, die Bank sich die Wohnung nehmen, und ich als Schwarze, Alleinerziehende, Arbeitslose niemals eine passende Wohnung finden würde. Obwohl meine Angst unbegründet war, war sie real.
Auch andere Ängste hatten mich im Griff. Mein Sohn schmiss zwei Monate vor dem Abi die Schule. Bei mir Alarmglocken. Was wird aus ihm ohne Studium? Dann zog er auch noch nach Berlin! Völlige Panik brach aus, aber nicht bei ihm. Es ist okay, als Mutter Angst zu haben, aber was für eine unbegründete Angst, mal wieder. Ich weiß doch, dass jeder Mensch seinen eigenen Weg gehen muss. Bisher geht es ihm gut.
Therapieplätze und politische Bildung
Wie der weise Jedi-Meister Yoda wusste: Angst ist der Weg zur Dunklen Seite. Auf diese dunkle Seite geraten immer mehr Menschen. Laut IKK-Studie (2023) haben Angststörungen zwischen 2013 und 2022 um 37,5 Prozent zugenommen. Krisen wie Krieg und Klimawandel haben Einfluss auf die psychische Gesundheit und können tiefe Ängste auslösen. Solche Ängste benötigen professionelle Hilfe, doch diese zu finden ist oft schwer. Es fehlen Therapeuten – fünf Monate müssen Betroffene im Schnitt auf einen Therapieplatz warten. Es gibt heute aber zum Glück auch digitale Hilfe, z.B. Apps für die Behandlung von Depressionen, wie die My7Steps-App, die es auf Kassenrezept gibt.
Wovor haben die Menschen in Deutschland die größte Angst? Laut der jüngsten Angst-Umfrage ist es die vor steigenden Lebenshaltungskosten (65 Prozent), auch vor einer Überforderung des Staats durch Geflüchtete (56 Prozent) – und das in einem der reichsten Länder der Welt. Durch mehr Demokratiebildung wären diese Ängste sicherlich behandelbar. ‚Nur‘ 43 Prozent nannten übrigens die Angst vor einem Krieg. (Statista 2024).
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Ablenkungsversuch
Intro – Hab’ keine Angst
„Psychische Erkrankungen haben nichts mit Zusammenreißen zu tun“
Teil 1: Interview – Psychologe Jens Plag über Angststörungen
Sorgen und Erfahrungen teilen
Teil 1: Lokale Initiativen – Der Kölner Verein Rat und Tat unterstützt Angehörige von psychisch kranken Menschen
Keine Panik!
Teil 2: Leitartikel – Angst als stotternder Motor der Vernunft
„Nicht nur ärztliche, sondern auch politische Entscheidung“
Teil 2: Interview – Psychiater Mazda Adli über Ängste infolge des Klimawandels
Weltweit für Menschenrechte
Teil 2: Lokale Initiativen – Amnesty International in Bochum
Wie die AfD stoppen?
Teil 3: Leitartikel – Plädoyer für eine an den Bedürfnissen der Mehrheit orientierte Politik
„Das Gefühl, dass wir den Krisen hinterherjagen“
Teil 3: Interview – Miriam Witz von Mein Grundeinkommen e.V. über Existenzängste und Umverteilung
Gefestigtes Umfeld
Teil 3: Lokale Initiativen – Wuppertals Verein Chance 8 fördert Chancengleichheit für Kinder
Soziale Bakterien
Den Ursprüngen sozialer Phobien auf der Spur – Europa-Vorbild: Irland
Im Sturm der Ignoranz
Eine Geschichte mit tödlichem Ausgang – Glosse
11 Millionen Eitelkeiten
Teil 1: Leitartikel – Fitnessstudios: zwischen Gesundheitstempeln, Muckibuden, Selbstverliebtheiten und Selbstgeißelung?
Im Namen der Schönheit
Teil 2: Leitartikel – Über körperliche Wunschbilder und fragwürdige Operationen
Ist Schönheit egal?
Teil 3: Leitartikel – Zwischen Body Positivity und Body Neutrality
Ungeschönte Wahrheiten
Teil 1: Leitartikel – Rücksicht zu nehmen darf nicht bedeuten, dem Publikum Urteilskraft abzusprechen
Allergisch gegen Allergiker
Teil 2: Leitartikel – Für gegenseitige Rücksichtnahme im Gesellschaftsbund
Armut ist materiell
Teil 3: Leitartikel – Die Theorie des Klassismus verkennt die Ursachen sozialer Ungerechtigkeit und ihre Therapie
Bröckelndes Fundament
Teil 1: Leitartikel – Was in Demokratien schief läuft
Demokratische Demut, bitte!
Teil 2: Leitartikel – In Berlin versucht der Senat, einen eindeutigen Volksentscheid zu sabotieren
Wem glauben wir?
Teil 3: Leitartikel – Von der Freiheit der Medien und ihres Publikums
Es ist nicht die Natur, Dummkopf!
Teil 1: Leitartikel – Es ist pure Ideologie, unsere Wirtschafts- und Sozialordnung als etwas Natürliches auszugeben
Wo komm ich her, wo will ich hin?
Teil 2: Leitartikel – Der Mensch zwischen Prägung und Selbstreifung
Man gönnt anderen ja sonst nichts
Teil 3: Leitartikel – Zur Weihnachtszeit treten die Widersprüche unseres Wohlstands offen zutage