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Regisseur Ingo Haeb im Odeon

Auf der Suche nach dem Leben

27. Mai 2015

Filmpremiere „Das Zimmermädchen Lynn“ im Odeon – Foyer 05/15

Montag, 25. Mai: An einem Pfingstmontag hatte er Schlimmes befürchtet: Ingo Haeb, der einen Blick über die doch nicht leeren Sitzreihen warf. Nach dem Motto „Aus der Südstadt in die Südstadt“ veranstaltete das Odeon unter Martin Roellys Leitung die Premiere von Haebs neuem Spielfilm „Das Zimmermädchen Lynn“ (Start: 28. Mai), dem der von einer Preview-Kinotour erschöpfte Regisseur („Sohnemänner“, „Neandertal“) nur wenige Worte vorausschickte. „Der Film basiert auf einem Roman von Markus Orths. Dieser Roman zeichnet sich für mich dadurch aus, dass er sich einer Figur nähert mit einer großen Empathiefähigkeit und mit viel Humor und trotzdem dieser Figur immer ihr Geheimnis lässt. Er begeht nie den Fehler, alles aufzuschlüsseln, was hinter ihr steckt. Das war die Aufgabe, die wir hatten, als wir uns überlegt haben, daraus einen Film zu machen. Insofern ist es ein ungewöhnlicher Film geworden, der bestimmt auch bei euch hier und da mehr Fragen hervorruft, als dass er Antworten gibt.“


Vicky Krieps spielt das Zimmermädchen Lynn

Der Film begleitet die als Zimmermädchen in einem Hotel arbeitende, Ende 20 zählende Lynn (Vicky Krieps), die in ihrer eigenen Welt lebt, zunächst durch ihren Alltag. Da ist der einsame Beruf, der aber ihre Berufung ist, und da ist das einsame Privatleben. Dann öffnet sich ihr eine Tür. In klaren, beobachtenden Scope-Einstellungen entsteht ein ungewöhnlich intimes und kunstvoll konzipiertes Porträt sowohl von Lynn, deren obsessive Verhaltensmuster um Sauberkeit, Intimität und Sexualität kreisen, wie auch ihres Umfeldes, in dem eine gewisse deutsche Kühle vorwaltet. Dialoge sind auch von daher spärlich gesetzt. Der Film ist ein Jahr auf Festivaltour gewesen: In Montréal gab es den Preis der internationalen Filmkritik und beim Filmfest München für Vicky Krieps den Förderpreis Neues Deutsches Kino in der Kategorie Schauspiel.

Orths' Roman „Das Zimmermädchen“ von 2008 wurde schon in diverse Sprachen übersetzt. Haeb sagte über den Roman nach dem Film: „Der war glücklicherweise recht schmal, also für einen Film geeignet.“ Zufällig habe Orths bei ihm in der Nähe gelesen. „Ich bin da hingegangen, wir haben uns sehr gut verstanden. Überhaupt ist es dann über die gesamte Zeit der Entwicklung eine super Zusammenarbeit gewesen. (…) Ich habe ihm immer die neuen Fassungen geschickt, und eigentlich haben wir alle Veränderungen auch besprochen. Das hat unglaublich viel Spaß gemacht mit Markus.“ Anders als im Roman habe man im Film natürlich nicht in den Kopf von Lynn hineingehen können. „Wir mussten einfach eine Atmosphäre schaffen, die das überträgt.“ Insbesondere habe das für ihre Einsamkeit und die „Sehnsucht nach irgendeiner Form von Partnerschaft“ gegolten.


Martin Roelly (Odeon), Vicky Krieps und Ingo Haeb

Vicky Krieps („Die Vermessung der Welt“, „A Most Wanted Man“, „Wer ist Hanna?“) kommentierte ihren Anteil daran: „Wir haben uns ein Dreivierteljahr vorher gefunden, haben viel geprobt und sehr viel über das Psychogramm von Lynn geredet.“ Beim Drehen habe sie dann eher intuitiv gespielt. Haeb ergänzte, er habe, um sie mit den nötigen Hintergründen für ihre Figur versorgen zu können, „mit einem Psychiater aus Hannover ein sehr intensives und langes Gespräch geführt, woraus ein mehrseitiges Psychogramm entstand. Später haben wir dann noch mit einem Psychotherapeuten aus Köln, Markus Fochler, eine Sitzung gemacht, wo Vicky als Lynn sich zwei Stunden dem Therapeuten ausgesetzt hat. Das war ein schönes Pingpong-Spiel. Da sind auch einige Sätze tatsächlich im Film gelandet.“ Später lobte Krieps noch die „ideale“ und leise Atmosphäre am Set. „Ich glaube, wir haben noch nie so einen Raum bekommen für unsere Arbeit, wie wir gerne arbeiten möchten.“

Wer den Film sieht, merkt schnell, dass am Ton irgend etwas anders ist – tatsächlich wurde er nachträglich neu vertont, wozu Martin Roelly Details wissen wollte. „Ich hatte mir das von Anfang an gewünscht“, sagte Haeb, „ich bin großer Fan alter Fassbinder- und Pasolini-Filme.“ Es entstünde dort „so eine merkwürdige Distanz zu dem Abgebildeten. Ich wollte den Film schon emotional haben, aber nicht naturalistisch. Deshalb haben wir auch diese sehr starke Farbgestaltung genutzt.“ Bis auf ganz wenige Töne seien alle Stimmen und Geräusche bei Torus „hier um die Ecke“ neu aufgenommen worden. „Vicky musste natürlich auch nochmal antreten.“ Sie habe sich dafür, wie sie sagte, den Originalton je dreimal angehört und auch den ganzen Film noch einmal „beatmet“.


Olaf Hirschberg (Produzent), Sophie Maintigneux (Kamera), Lucia Keuter (WDR), Ingo Haeb, Vicky Krieps, Ingmar Trost (Produzent), Erna Kiefer (Film- und Medienstiftung NRW)

Die in großer Zahl erschienenen Beteiligten holte Haeb alle auf die Bühne, darunter die Kamerafrau Sophie Maintigneux, die (das Internet verrät es) vor ihrer deutschen Karriere mit Rohmer und Godard gearbeitet hat. Unter anderem lobte Haeb „meine Redakteurin“ Lucia Keuter (WDR) und die Ausstatterin Petra Klimek: „Das Hotel, das wir gefunden haben, das sah natürlich überhaupt nicht so aus, wie sie es jetzt gesehen haben. Von außen ja, da haben wir wenig gemacht, aber innen hat Petra Sachen gezaubert, die hätte man diesem Plattenbau nicht zugetraut. Wir haben dieses Hotel für ganz wenig Geld für drei Monate bekommen; jedes Zimmer hatte einen anderen Look, aber das wollten wir natürlich nicht. Wir wollten was Einheitliches.“

Im Foyer erklärte mir Haeb, dass er an der Kunsthochschule für Medien (KHM) Film studiert habe und anschließend an der Berliner DFFB Drehbuch. Meist habe er dann auch als Autor gearbeitet, z.B. neben seinen eigenen Filmen „Die Schimmelreiter“ mit Axel Prahl geschrieben. Und: „Ab Oktober bin ich Professor an der KHM für Drehbuch.“ Zu den beiden tollen Chansons im Film, die man bis zu den Credits für eingekauft halten konnte, sagte er, sie stammten vom Gitarristen von Element of Crime, Jakob Ilja. Er habe sich für Chansons entschieden, ausgehend von den Interessen, die er Lynn über den Roman hinausgehend verliehen habe, in dem Lynn als eher schludrig beschrieben werde. Im Film sieht sie auf ihrem Laptop auch französische Filme wie „Die Ferien des Monsieur Hulot“ mit Interesse. Die Arbeit an dem Drehbuch habe 2008 begonnen. Er bestätigte, dass es so langsam gegangen sei, weil es sich nicht um ein kommerzielles Projekt handle, und dass zum Glück Lucia Keuter vom WDR eine Redakteurin „mit eigenen Vorstellungen und einer eigenen Meinung“ sei, die sich durchsetzen könne.


Feier und Austausch im Foyer

Produzent Ingmar Trost, dessen Firma Sutor Kolonko sowie 58Filme das Arthouse-Projekt nach einiger Entwicklungsarbeit von Pandora Film übernommen hätten, freute sich wie sein Kollege Olaf Hirschberg, mit movienet einen engagierten Verleih gefunden zu haben, dessen großen Einsatz Haeb auf der Bühne gelobt hatte. Nun starte der Film in 34 Kinos. Man habe beim Dreh im August und September 2013 bei den Motivmieten sparen können, nicht nur durch das Glück mit dem seit sieben Jahren leerstehenden Hotel, dessen gesamtes Inventar man habe mitverwenden können, sondern auch indem etwa die Mutter-Szene am Schluss im Haus von Trosts eigenen Eltern gedreht worden sei. Vier Drehtagen in Köln stünden 19 Tage in Bremen und Bremerhaven, wo sich das Hotel befinde, gegenüber. Autor Markus Orths sei übrigens mit dem Film „happy“ und habe den Roman „loslassen“ können. Trost selbst hat Dokumentarfilmregie studiert, konnte mit „Sofia’s Last Ambulance“ von Ilian Metev 2012 in Cannes punkten – „das war ein Türöffner“ – und habe jüngst einen neuen Film von Isabelle Stever mit Maria Furtwängler in der Hauptrolle produziert.

Mischtonmischmeister Falk Möller von Torus, der u.a. auch „Stromberg – Der Film“ und „Frau Müller muss weg!“ bearbeitet hat, bestätigte, dass er erstmals für einen Film den gesamten Ton neu aufgenommen und als Co-Produzent diese gemeinsame Entscheidung auch mitgetragen habe. Er empfinde den gründlichen Neuaufbau des Tons als eine „Bereicherung“ und habe seine Arbeit mit einem stummen Film begonnen. Es sei den Schauspielern im Tonstudio möglich gewesen, einfach leise zu spielen, und es sei dabei eine „artifizielle Nähe“ entstanden.

Die gutgelaunte und im Gegensatz zu Lynn sehr schick gekleidete Vicky Krieps konnte mir die Hintergründe ihrer Figur und die Psychologie ihre Zwangsstörung tatsächlich genauer erläutern. Der Roman sei zuvor ihrer Ansicht nach eher intuitiv geschrieben worden und habe (wie der Film) nicht alle Antworten enthalten. Nach dem Umzug nach Berlin (sie studierte in Zürich) sei sie über Castings ins Filmgeschäft gekommen, was auch noch immer ihr Weg zu Rollen sei. Der Schauspielpreis in München stimmte sie immer noch sehr positiv.

Der Film (Webseite) startet Donnerstag im Kölner Odeon und in Bonn in der Neuen Filmbühne.

Text/Fotos: Jan Schliecker

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