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fringe ensemble: „Zwischenhalt“ von Mirza Metin (r.) bei der Erstaufführung im Februar
Foto: Nazım Serhat Fırat

Stürme, Bushaltestellen und Selbstzensur

24. Oktober 2017

Urbäng!-Festival: „Zwischenhalt / Aradurak / Rawestgeharaf“ an der Orangerie – Theater 10/17

Ein Deutscher, ein Türke und ein Kurde warten auf den Bus. Was wie der Anfang eines Witzes klingt, entpuppt sich in in Mirza Metins Theaterstück „Zwischenhalt / Aradurak / Rawestgeharaf“ als Versuchsanordnung über die Türkei der Gegenwart. „Ein Sturm zieht auf“, sagt Metin, der auf der Bühne des Orangerie-Theaters in die Rolle des wartenden Kurden schlüpft, an einer Stelle. Auch wenn nie klar wird, ob es sich um ein echtes oder metaphorisches Unwetter handelt, ahnt jeder, wofür der Wind steht, dem man hier zu entfliehen versucht. Leichter gesagt als getan: Nicht nur, dass sich das Trio aufgrund von Sprachbarrieren ohnehin misstraut, spitzt sich die Lage weiter zu, als es seperate Botschaften von unbekannter Hand erhält, die Zwietracht säen und bald schon Mordaufrufe beinhalten. Statt das kafkaeske Bedrohungspotential dieser Godot-Variation zu betonen, dreht das Trio beherzt am Rad und lässt das Geschehen in Richtung Farce kippen. Mehr als einmal wirkt Frank Heuels Inszenierung dabei, als hätten die drei Stooges einen Ausflug an den Bosporus gemacht.

So witzig sich das Treiben auf der Bühne dabei gestaltet, so ernst beschreibt Metin dabei den Hintergrund der Ausgrenzung und Marginalisierung kurdischer Kunstschaffender in der Türkei. Als er sich im Anschluss an die Aufführung des  gemeinsam mit Ilker Abay (türkisch) und David Fischer (deutsch) vom Bonner Fringe Ensemble dargebotenen Stückes zur Diskussionsrunde unter dem Motto „Demokratie unter Druck – Kunst als Bollwerk“ in illustrer Runde niederlässt, erinnert sich Metin an seine Zeit auf den kleinen Bühnen des Istanbuler Off-Theaters in den 90er Jahren. Auch wenn er mit einem lachenden und einem weinenden Auge an früher denkt, muss er zugeben, dass die Gefahren für Kurden im Kulturbetrieb, speziell für jene, die auf einer eigenen Sprache bestanden, schon damals nicht zu unterschätzen waren – und sind. Einflussnahme und Zensur haben eine lange Tradition in der Türkei.


Moderator Stefan H. Kraft (3.v.r.) neben Mirza Metin (2.v.l.), David Fischer (3.v.l.), Ilker Aba (4.v.l.) und Joanna Wichowska (2.v.r.), Foto: Robert Cherkowksi

„In dieser Zeit mussten nicht nur Theatermacher mit Repressalien rechnen. Auch das Publikum konnte sich in Gefahr oder wenigstens in Verruf bringen“, erinnert sich Metin und betont, dass er zu jener Zeit längst gelernt hatte, mit Anfeindungen gegen seine eigene Person zu handeln. Sonst hätte er keine Möglichkeit gehabt, als kurdischer Künstler in seiner Sprache überhaupt aufzutreten: „Da wir fast nie eine Genehmigung bekamen, haben kurdische Theatermacher damals einfach ohne Erlaubnis ihre Stücke gespielt. Auch ich bin dafür mehrmals abgeführt worden.“ Künstler und Publikum seien damals, so erinnert sich Metin, oft zu Komplizen geworden, wenn es darum ging, gemeinsam das Weite zu suchen, um Polizeikontrollen zu entgehen: „Wenn unsere Stücke damals vorbei waren, sind wir meist alle gemeinsam durch die Hintertür verschwunden, da auch das Publikum für Theaterbesuche Einträge in schwarze Listen bekommen konnte.“

Entmutigen lassen will er sich dennoch nicht und bringt seine Stücke auch unter anhaltender Gefahr auf jede Bühne, die sich ihm bietet. Im vergangenen Jahr geschrieben und im Februar diesen Jahres uraufgeführt, widmet er sich mit „Zwischenhalt / Aradurak / Rawestgeharaf“ der gegenwärtigen Anspannung in der Türkei, von der niemand weiß, ob sie sich legen oder weiter aufschaukeln wird. Die Sturm-Metaphern, derer er sich bedient, mögen nicht subtil sein, doch das ist der Protofaschismus der neuen E-Klasse auch nicht. „Dieser Sturm“, versucht die Figur des Türken (gespielt von Ilker Abay) einmal zu beruhigen „entwurzelt nicht die Bäume, sondern fegt nur die Dächer von den Häusern“. Ganz sicher kann sich dennoch niemand mehr sein.

Frostiger wird das Klima allemal, und das nicht nur in der Türkei. Auch die polnische Theatermacherin Joanna Wichowska weiß, dass der kulturelle Winter nicht nur naht, sondern längst da ist. So konnte sie zu Beginn des Jahres beobachten, wie es aussieht, wenn politisch rechtsauslegende und religiös-bigotte Kräfte sich ins Kunstschaffen einmischen. So geschehen zuletzt bei der Premiere des Stückes „The Curse“ am Warschauer Teatr Powszechny, an dem sie als Dramaturgin arbeitet. Dass ein Stück, welches sich dem institutionellen katholischen Mief im Polen von Heute widmet, Wellen schlagen konnte, war ihr wohl bewusst. Die Ausmaße haben sie dann aber doch überrascht.

„Schwindende Mut des Künstlers“

„Bei der Premiere saßen Leute im Publikum, die Schlüsselszenen mit ihren Handys gefilmt haben. Dabei handelte es sich um eine Szene, in der Oralsex mit einer Büste von Johannes Paul II praktiziert wurde, und eine Szene, in der ein Kruzifix mit einer Kettensäge zerlegt wurde. Innerhalb des Stückes machen diese Szenen Sinn, aber der Kontext war egal, als die Szenen plötzlich in der rechten Presse und im Internet erwähnt wurden und in den kommenden Tagen ein Mob vor dem Theater stand und nicht nur die Schauspieler und Angestellten des Hauses, sondern auch die Besucher beschimpfte und bedrohte.“

So konnten die Theatermacher Polens und der Türkei ihre Anekdoten von staatlicher und kirchlicher Seite teilen und sich so manchen Trost zusprechen. Das größte Problem, so Wichowska, sei schließlich nicht der Widerstand von Seiten der Demokratiefeinde, sondern, sagt sie, der schwindende Mut des Künstlers: „Dass autoritäre Machthaber, rechte Ideologen oder religiöse Kräfte immer versuchen werden, die freie Meinungsäußerung des Künstlers zu beschneiden und ihre eigene Auffassung zum Maßstab moralischer Fragen zu machen, ist die Regel. Dass weiche oder harte Zensur den Künstler unter Druck setzt, ist auch bekannt, doch können sie nur siegen, wenn der Künstler sich genug unter Druck gesetzt fühlt und anfängt, seine Arbeit schon vor dem Entstehen zu zensieren.“ Für Metin war Kunst immer mit Gefahr verbunden. Er selbst habe seine Entscheidung gefällt und betont, dass er seinen Weg gehen werde, „was immer es kostet“. Doch weiß auch er aus eigener Erfahrung, dass sich manchmal nicht nur der Künstler in Gefahr bringt, sondern auch das Publikum. Da fällt es schwer zu glauben, dass die kommenden Stürme sich damit begnügen, nur die Dächer von den Häusern zu wehen.

Robert Cherkowski

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