Wer heute in die Glotze starrt oder ein paar Filmchen streamt, der macht sich sicher keine Gedanken, wie viel beim Genuss der laufenden Bilder von ihrer jeweiligen Farbe und den dazugehörenden Farbwerten abhängt. Farbe als dramaturgisches Mittel wurde mit Celluloid erst richtig gesellschaftswichtig, ihre Wahl beeinflusst Stimmungen und kann Räume emotional auf- und abwerten. Kein Wunder also, dass Willy Brandts Druck auf den roten Startknopf des Farbfernsehens während der Internationalen Funkausstellung 1967 in Berlin der quasi Eyecatcher eines künstlerischen Blicks in Bonn auf die Farbe an sich geworden ist. Die Bundeskunsthalle zeigt dort in ihrer Ausstellung „Farbe ist Programm (Teil 1)“ eine Sammelausstellung, deren Exponate von allen Kuratoren des Museums (acht) ausgewählt wurde. Pfiffigerweise gibt es den umfangreichen Katalog dazu in Form eines informativen Farbtonfächers.
Aber Farbe muss nicht immer bunt heißen, monochrome Werke wie das Vanitas Motiv (da muss immer ein Totenschädel dabei sein) von Hans Op deBeek (Installation Vanitas XL, Polyester und Metall, 2021) gehen da noch einen Schritt weiter und lassen durch schnödes Grau Abwesenheit von Vielfalt generieren. Ähnlich monochrom, aber in eine ganz andere Richtung ist der „Ruheraum“ von La Monte Young, Marian Zazeela und Jung Hee Choi. Aus Licht, Farbe und Klang (sagen wir besser Sinustöne) wird hier ein immersives Gesamtbild in die anwesenden Körper suggeriert. Das monochrome Magenta, im Liturgischen steht das ausgerechnet für Buße, und dazu die Wellen der Töne sollte man mögen, aber dann entstehen dabei sonderbare Erlebnisse.
Rund vier Dutzend Künstler durch einhundert Jahre Kunstgeschichte kann der Besucher durchschauen. Manchmal wird die bunte Masse viel, insbesondere wenn mit reinen Farbwerten gearbeitet wird, aber der historische Abriss von der Moderne, wie Avantgarde-Göttin Sophie Taeuber-Arp (1889–1943) mit ihrer Aubette Bar von 1927 über Judy Chicagos Rauchbomben (Women and Smoke, 1971–72) bis hin zu zeitgenössischen politischen Arbeiten von Gardar Eide Einarsson, der beispielsweise mit Lichtmasten Macht und staatliche Einflussnahme hinterfragt, ist extrem informativ. Also viel Farbenlehre jenseits von Itten und Goethe, obwohl ein gewisser Steiner auch vertreten ist.
Farbe ist Programm (Teil 1) | bis 7.8. | Bundeskunsthalle Bonn | 0228 917 12 00
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Besondere Architektur
Kengo Kuma in Bonn
Ein Teil des „Wir“
Diskussion in der Bundeskunsthalle – Spezial 08/23
Arbeitsstreik und Lebensdichtung
„Her mit dem guten Leben!“ in der BKH Bonn – Spezial 0623
Welcome to the Shitshow
„Ernsthaft!?“ in der Bonner Bundeskunsthalle – Kunstwandel 01/23
Visuelles Gesamtkunstwerk
Die Oper als Ausstellungsobjekt in Bonn – Kunstwandel 11/22
Eine Ikone des Feminismus
Simone de Beauvoir-Ausstellung in der BKH Bonn – Kunstwandel 04/22
Im Rausch der Bilder
Bundeskunsthalle Bonn: „Methode Rainer Werner Fassbinder“ – Kunstwandel 11/21
Straßenbahnhaltestelle als Plastik
„Beuys-Lehmbruck“ in der Bundeskunsthalle – Kunstwandel 08/21
Dreireiher versus Jogginghose
Dress Code in der Bundeskunsthalle – Kunstwandel 07/21
In Zeitlupe durch brennende Wälder
Julius von Bismarck in der Bundeskunsthalle – Kunstwandel 10/20
Immer gegen Konventionen
Zeitreise der Doppelbegabungen in der Bundeskunsthalle – Kunstwandel 08/20
Ausbeutung für die Verschwendung
„Wir Kapitalisten“ in der Bundeskunsthalle – Kunstwandel 06/20
Steigen, Verweilen, Niedersinken
Nadine Schemmann mit zwei Ausstellungen in Köln – Kunstwandel 05/24
Berührungsängste verboten
„Memory is not only past“ in der ADKDW – Kunst 04/24
Zauber der Großstadt
Nevin Aladağ im Max Ernst Museum Brühl des LVR – kunst & gut 04/24
Das Verbot, sich zu regen
„Es ist untersagt ...“ von Frank Überall im Gulliver – Kunstwandel 04/24
Makroproteste in der Mikrowelt
Agii Gosse in der Galerie Landmann-31 – Kunstwandel 03/24
Ein König schenkt
Schenkungen von Kasper König an das Museum Ludwig – kunst & gut 03/24
Aufscheinende Traditionen
Helena Parada Kim im Museum für Ostasiatische Kunst – kunst & gut 02/24
Expansion in die Löwengasse
Kunstraum Grevy eröffnet Pop-Up-Store „Grevy Satellite“ – Kunst 02/24
Faszination für krumme Linien
Julja Schneider im Maternushaus – Kunstwandel 02/24
Ohne Filter
„Draussensicht“ in der Oase – Kunstwandel 01/24
Malen mit der Farbe
Rolf Rose im Kunstmuseum Villa Zanders in Bergisch Gladbach – kunst & gut 01/24
Augenöffner im Autohaus
„The Mystery of Banksy“ in Köln – Kunstwandel 12/23
Gespür für Orte
Füsun Onur mit einer Retrospektive im Museum Ludwig – kunst & gut 12/23