Das Rautenstrauch-Joest-Museum wird als ethnographisches Museum seiner Verantwortung gerecht. Erst recht seitdem Nanette Snoep künstlerische Direktorin ist, widmet es sich engagiert Fragen der Herkunft der Werke seiner Sammlung und den Wegen, über die sie ins Museum gekommen sind. Daraus folgend der Restitution mit der Thematisierung des Kolonialismus. Verbunden ist hiermit eine Sensibilisierung für die einstigen alltäglichen, rituellen und ästhetischen Aspekte der Objekte. Folglich ist der Beitrag zur Internationalen Photoszene Köln nicht wirklich eine Überraschung: Thema von „Artist Meets Archive“ ist, dass Künstler aus aller Welt eingeladen wurden, Archive zu sichten und damit den Teil des Museums zu durchforsten, der, abgelegt als Papier und Fotos, erst recht die Beweise und Dokumente des Vergangenen in sich trägt.
Und dann war es eben doch eine Überraschung, dass mit Kaganye Lebohang (*1990 Johannesburg) eine der spannendsten jungen Positionen aus Afrika eingeladen werden konnte. Was sie nun im Rautenstrauch-Joest-Museum entdeckt hat und in ihrer Ausstellung zur Diskussion stellt, sind Fotos, Tuschezeichnungen und Notizen, die Marie Pauline Thorbecke 1911-13 in Kamerun als Teil der „Forschungsexpedition der Deutschen Kolonialgesellschaft“ angefertigt hat. „Die Aussicht auf dieses ‚unberührte Paradies‘ und die Leere der ‚malerischen afrikanischen Landschaft‘ haben mich magisch angezogen“, schreibt Lebohang Kaganye. „Die Landschaft erschien mir nicht still und stumm. Was wäre Afrika, wenn man die Natur so gelassen hätte, wie sie war?“ Sie befragt, was Jahrhunderte Kolonialismus in Kamerun zerstört, aber auch verhindert haben und eben nicht zurückgegeben werden kann. Dazu ist sie selbst durch Kamerun gereist, hat sich der Natur gewidmet und mit der Bevölkerung auf dem Land und in der Stadt gesprochen. Sie hat Bücher zur Geschichte und Mythologie des alten Königreichs studiert und ist mit eigenen Fotografien und Videos zurückgekehrt.
Die Ebenen überlagern sich: Die Perspektive von Thorbecke trifft auf das, was heute zu sehen ist und wie sich die Bevölkerung ihrer Geschichte und der Überlieferung der Mythen erinnert. Lebohang Kganye zeigt zwei Werkgruppen. Im vorderen Bereich des verdunkelten Saals sind sechs, wie Schattentheater beleuchtete Boxen mit den Cut-Outs von Fotografien und Zeichnungen ausgestellt, die auf der Mythologie beruhen und ihr eigenes Porträt – als Zeugin, die sich zu Wort meldet – einbeziehen. Daran schließt sich ein filmisches Panorama aus einzelnen Sequenzen an, die der Reise durch Kamerun folgen. Von links nach rechts durchschreitet eine Afrikanerin im animierten Wechsel von Zeichnungen zum Film die Landschaft und die dörfliche Struktur, die städtische Betriebsamkeit und den Urwald. Über der Schulter trägt sie ein Bündel, packt ein Gefäß aus, schüttet Erde auf den Boden und legt in der letzten Sequenz das Tuch auf der Eisenbahnstation ab.
Die materiellen, „physischen“ Güter kann man vielleicht zurückgeben, aber nicht den Zustand der Vegetation, nicht was sich anders entwickelt hat, mitsamt der Überlieferung, die abgewürgt worden ist. Betroffenheit stellt sich ein: Große Kunst!
Lebohang Kganye – Shall you Return Everything, but the Burden | bis 5.10. | Rautenstrauch-Joest-Museum | 0221 22 13 13 56
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