Zeit bleibt eine spekulative Idee. Sie steht weder still, noch schreitet sie linear richtungskonform voran, entspringt sie doch als Sehnsucht nach Ordnung einem zutiefst chaotischen Verstand. Den Wert jener einsilbigen Begrifflichkeit („Zeit“) stellt das Museum Ludwig als Neuinterpretation zur Debatte. In 13 Räumen des Untergeschosses sind die Besucher:innen mit Installation, Malerei, und Fotografie internationaler Künstler:innen aus den letzten sechs Dekaden konfrontiert, die das Auge überwinden möchten, um in tiefere Wahrnehmungsschichten des Bewusstseins – eine weitere zweifelhafte Erkenntnis – zu gelangen. Dies gelingt bedingt. Sehen und Hören sind durchaus gewollt, das Berühren nicht erlaubt, der Geruch bleibt menschlich und der Geschmack ist auf der Zunge deplatziert. Es bleibt die verlässliche Zwischenwelt der Imagination, in der Texterläuterungen zu Schöpfern und Werken eine Nebenrolle spielen.
Die wesentlichen Protagonisten sind bekannt: Angst, Unterdrückung, Kälte, Schmerz, Befremdlichkeit, aber auch Humor, Hoffnung und ein bisschen Licht. So blitzen an gleißenden wie sinistren Orten der Zeitreise Bildnisse des europäischen Kolonialismus sowie Formen des allgegenwärtigen Rassismus (Lubaina Himid, Cameron Rowland, Boaz Kaizman), die Selbstverständlichkeit politischer Übereinkünfte (Andreas Siekmann), animalische Instinke (Lois Weinberger) oder die verführerische Leichtigkeit von Intransparenz (Haegue Yang) auf. Die zu namenlosen Subjekten degradierten Arbeiter:innen zum Wohle der Konsumgesellschaft (Asimina Paradissa) sowie Horden anonymer, jedoch nicht minder um Stadt, Land, Staat bemühter Beamter (Maria Eichhorn) sind ebenfalls präsent. Nicht um eine übergeordnete moralische Instanz, vielmehr um die Reflektion der Geschichte per se mäandert die Gretchenfrage der Ausstellung.
Wie viele Rückschritte für Minderheiten verlangen die vermeintlichen Fortschritte zugunsten einer überlegenen und beständig fordernden Allgemeinheit auf der hellen Seite des Planeten? Lebt jede Generation zwangsläufig in der besten und/oder schlechtesten aller Zeiten? Ist die Zukunft aus dem Geschehenen ableitbar? „Über den Wert der Zeit“ ermöglicht die vielleicht höchste aller Befindlichkeiten – das Wundern übers Ich, das unweigerlich zum Wir mutiert. Zeit: Welch eine Idee!
Über den Wert der Zeit – Neupräsentation der Sammlung zeitgenössischer Kunst | bis 31.8.2025 | Museum Ludwig, Köln | www.museum-ludwig.de
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