„Nur ein netter Stabreim“, mögen manche Menschen denken. Spitzfindige werden vorrechnen, dass in jene Formel noch die horrenden Summen, die in den tollen Tagen verdient werden, die exorbitanten Mengen an Alkohol, die konsumiert werden und die etlichen Narren, die bei Schlägereien verletzt werden, mit eingerechnet werden müssen.Andere werden feststellen, dass Kommunismus nicht lustig ist und auch nie war. Von Magdeburg bis Wladiwostok wurden nur leichenbitterernste Umzüge veranstaltet, und zwar zum 1. Mai.
Der Widerspruch zwischen Machtstrukturen und Gesinnung ist am besten mit roter Pappnase auszuhalten
Aber es gibt eben auch den Spruch: „Ob arm, ob reich, jeder Jeck ist gleich“. Der Musiker Stephan Brings erklärte den Zusammenhang der drei Begriffe in einem Interview in der „taz“ folgendermaßen: „Ich war 15 Jahre in der DKP, aber ich bin immer noch in der Katholischen Kirche. Manche nennen es Bergpredigt. Ich nenne das die verbesserte Form vom Kommunistischen Manifest.“ Tatsächlich könnte die bekannte Karnevalskapelle Brings mühelos eine rheinische Version des italienischen 50er Jahre-Spielfilms „Don Camillo und Peppone“ um einen kommunistischen Bürgermeister und einen katholischen Priester besetzen. Schlagzeuger Christian Blüm ist Sprössling des ehemaligen CDU-Arbeitsministers und die Brüder Stephan und Peter Söhne des bekennenden Altlinken Rolly Brings. Der Widerspruch zwischen realen Machtstrukturen und revolutionärer Gesinnung, so scheint es, ist in Köln am besten mit roter Pappnase auszuhalten. Davon aber will Vater Brings nichts wissen. „Der Stadtkarneval war immer von der Genehmigung der Herrschenden abhängig“, weiß der pensionierte Geschichtslehrer und Liedermacher zu berichten. Karneval habe die Funktion eines Hofnarren. Das Volk werde wie schon vor 2000 Jahren mit Brot und Spielen besänftigt, so Rohly Brings. Obwohl er auf das musikalische Werk seiner Söhne stolz ist, könne er mit Karneval nichts anfangen. Die Eltern hatten ihn in jungen Jahren sogar einmal in den Gürzenich mitgenommen. Die Prunksitzung hat Rolly Brings noch in schlimmer Erinnerung: „Da wurden nur Witze gegen Frauen, Fremde und Linke gemacht.“
Tatsächlich war lange Zeit der vom Fernsehen übertragene Kölner Karneval eine Brutstätte reaktionären Humors. Als Kontrapunkt organisierten Wtudierende der Kölner Fachhochschule im Jahr 1984 die erste Stunksitzung. Aus der Idee einiger Spontis jener Latzhosenzeit ist inzwischen mit 50 Sitzungen und insgesamt etwa 50.000 Besuchern pro Jahr ein florierendes Wirtschaftsunternehmen geworden. Manche zweifeln, dass das linksradikale Markenzeichen der Veranstaltung, der schwarz-rote Stern mit Narrenkappe, noch die Inhalte der Stunksitzung repräsentiert. Wenn nicht gerade der Papst als Homosexueller dargestellt wird, überträgt der WDR die Sitzungen im E-Werk in voller Länge. Stunk und Prunk gehören mittlerweile fast gleichberechtigt zum närrischen Treiben. Die Aktivisten von damals sind inzwischen in Würde ergraut.
Schon vor zehn Jahren organisierten die leiblichen Kinder der Stunk-Revolutionäre ihren eigenen Karneval. Die Ziegenbartsitzung war eine der wenigen großen Produktionen von Kindern für Kinder, betont deren Mitinitiator Sebastian Koerber. In der vergangenen Session war dann Schluss, die ehemaligen Töchter und Söhne der Stunker waren ihrer Rolle entwachsen. Am 6. Februar werden die ehemaligen Narrenkinder mit dem Kabarettstück „Biotop für Bekloppte“ Premiere feiern. Ob und wann die Ziegenbartsitzung mit den Enkeln der ersten Stunkgeneration fortgesetzt wird, kann Koerber bislang nicht sagen.
11.000 BauchtänzerInnen zeigten, dass sie orientalische Kultur in ihrer Stadt willkommen heißen
Aber auch jenseits der Familienbande hat sich die Opposition zum bürgerlichen Karneval weiterentwickelt. Der Humba Efau betreut die unterschiedlichsten alternativkarnevalistischen Projekte. Bundesweit Furore machte vor gut zwei Jahren die Aktion „11.000 BauchtänzerInnen für Köln“. Bei der großen Demonstration gegen das geplante und dann gescheiterte Treffen europäischer Rechtsradikaler zeigten viele Kölner Jecken mit Humor und Bauch außerhalb der Fünften Jahreszeit, dass sie orientalische Kultur in ihrer Stadt willkommen heißen. Aber auch musikalisch hat sich der Karneval weiterentwickelt, weiß Jan Krauthäuser vom Humba Efau zu berichten. Von den 50er Jahre-Schunkelliedern über die Partyhits von Brings und Höhner geht der Weg hin zu zeitgenössischer Jugendkultur. Das Label Basspräsidium macht, wie der Name bereits andeutet, Techno und Artverwandtes karnevalstauglich. Das Quartett Bambam Babylon Bajasch präsentiert computergestützten Ragga-Punk, die Büdche Boys kölschen Hip Hop. Der Weltmusik hat sich die Schäl Sick Brass Band verschrieben. Der Karneval, so zeigt sich, erfindet sich ständig neu. Anarchie passt eher in unsere mathematische Gleichung als Kommunismus. Denn jeder Jeck ist anders.
Literatur zum Thema:
Wolfgang Hippe: Alaaf und Helau. Die Geschichte des Karnevals, Klartext-Verlag | Renate Matthaei: Der kölsche Jeck. Zur Karnevals- und Lachkultur in Köln, Dabbelju Verlag
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