So schnell hat ein Theater wohl selten reagiert, um aus einem  aktuellen Zeitgeschehen ein Musical zu stricken. Kaum ist der  „Quelle“-Konzern pleite, gibt es schon eine musikalische Hommage auf das  legendäre Versandhaus. In der „Werkstatt“ der Bonner Oper hat Regisseur  Jens Kerbel mit „Tausend Wünsche – eine Quelle oder Der Pfennig ist die  Seele der Milliarde“ eine Revue eingerichtet, die schon nach wenigen  Vorstellungen zum Kult avanciert ist.
Und so sitzt man auf der  Zuschauertribüne und blickt auf ein von Bühnenbildner Ansgar Baradoy  stilecht durch Umzugskartons eingerahmtes Katalog-Wohnzimmer mit  Couchtisch, Universum-Musiktruhe und Zimmerspringbrunnen. In dieses  nostalgische Ambiente schickt Kerbel sein großartiges Schauspieler-Trio  Susanne Bredehöft, Anke Zillich, und Günter Alt. Sie singen und  erzählen, mal in der Rolle von Konzern-Mitarbeitern, mal als Kunden, von  einer Konsum-Welt aus „Gammel“- Blusen, Draht-Salzletten-Boys, Kämmen,  die die Haare färben und „Supra Elasti“-Miedern für üppige Damen. Dazu  stimmt Marcus Schinkel am E-Piano Kerbel „Bei mir bist du scheen …“ an  –, und das Trio lässt glatt die Andrew Sisters vergessen. Nach 60  flotten Minuten ist der „Quelle“-Spuk vorbei – obwohl man am liebsten  noch stundenlang in dem musikalischen Katalog blättern würde.
Gleich  um die Ecke, im Amphitheater ähnlichen „Contrakreis-Theater“ verbreiten  sieben schauspielernde Musiker (oder sind es sieben musizierende  Schauspieler?! ) in „What a Feeling II“ genauso viel gute Laune: Die  Coverband „Love Cats“ ist nach ihrem großen Erfolg von 2002 mit „What a  Feeling“ zurück – nur ist ihnen eine Sängerin abhanden gekommen. Also  wird gecastet und mit der quirligen Diana ein neues Bandmitglied  gefunden. Doch die attraktive Sängerin verdreht den Jungs den Kopf, was  nicht nur zu Eheproblemen führt. Auch nach dem eigenen Ich wird gesucht  und sich vor der Polizei versteckt. Aber natürlich gibt es – anders als  bei „Quelle“ – ein Happy End: Die Band feiert eine triumphale Premiere.  Und da sie mitten im Publikum steht, feiert und singt das in Bonn zum  Finale auch kräftig mit. Horst Johanning hat diese musikalische Revue im  Stil eines turbulenten Boulevardstücks kurzweilig inszeniert. Stephan  Ohm hat dazu Songs von Robbie Williams („Let me entertain you“), Cher  („I got you Babe“), Elvis („Jailhouse Rock“) und anderen Pop-Größen bis  hin zu Anastacia („I‘m outta Love“) für das Ensemble eingerichtet, das  mit überbordender Spiellaune mitreißt. Vor allem Leon van Leeuwenberg –  der wohl beste „Sidekick“ unter unseren Musical-Darstellern (zuletzt in  „Hairspray“ als Uwe Ochsenknechts Gatte zu bewundern) – und die sowohl  stimmlich wie schauspielerisch überzeugende Nicole Rößler brillieren als  ständig zerstrittenes Ehepaar. Über allen aber strahlt die  Musical-Entdeckung der letzten Jahre: Elisabeth Ebner, deren  Vielfältigkeit wie geschaffen ist für das Genre, und der man am liebsten  jeden Tag zusehen und -hören möchte – auch an den „spielfreien“ Tagen.
www.theater-bonn.de I 0228 77 80 08 www.contra-kreis-theater.de I 0228 63 23 07
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