Es ist eines der Hauptwerke der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts: Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“ ist ein komplexer und formell experimenteller Roman mit zahlreichen Erzählebenen, gemischten Stilen und intertextuellen Verweisen, der in einem Atemzug mit James Joyces „Ulysses“ und John Dos Passos’ „Manhattan Transfer“ genannt wird. Kein leichter Stoff. Nun hat Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer ihn für das Schauspiel Köln aufbereitet – und sich auf das Missverhältnis zwischen dem Männerbild der Hauptfigur Franz Bieberkopf und seiner Suche nach einem Platz in einer ihn überfordernden Wirklichkeit konzentriert.
Biberkopf ist ein ehemaliger Transportarbeiter, der nach dem Mord an seiner Freundin für vier Jahre hinter Gittern saß und nach seiner Entlassung vergeblich versucht, in Berlin wieder Fuß zu fassen. Es ist die Geschichte eines Scheiternden, der sich im urbanen Moloch verliert. „Döblin hat einen Roman geschrieben, in dem die Beschleunigung der Moderne und ihre Explosion in disparate Welten hautnah erfahrbar wird“, erklärt Schmidt-Rahmer. „Wenn erzählt wird, wie ein Mann mit einem gewissermaßen vormodernen Bewusstsein plötzlich in eine Welt geworfen wird, in der all die gewohnten Faktoren keine Funktion mehr erfüllen, dann ist dieser Roman für unsere Zeit eher noch relevanter geworden. Männer, die glauben, ihr vermeintlich angestammtes Territorium verteidigen zu müssen, bestimmen heute immerhin das Weltgeschehen.“
Mit fünf Männern und fünf Frauen in zahlreichen Rollen versucht Schmidt-Rahmer, diese Geschichte erlebbar zu machen. Im Gegensatz zu Inszenierungen von Regisseuren wie Frank Castorf oder Sebastian Hartmann mit einer Länge von vier oder mehr Stunden will der 65-Jährige den Stoff konsumierbar halten. „Der Film von 1931, an dem Döblin selbst mitgearbeitet hat, erzählt die eigentliche Geschichte in 80 Minuten“, sagt er. „Wenn ein Roman gedanklich und sprachlich dicht ist, verliert er nicht an Kraft, selbst wenn man auf dem Theater nur Teile davon spielt.“ Dennoch bleibt der Montage-Charakter des Originals: „Es gibt verschiedene sprachliche Ebenen, die sich überlagern oder zueinander in Kontrast treten, und es gibt eine Videoebene, in der die Figuren agieren. Die Bühne ist ein Raum voller optischer und akustischer Rückkoppelungen.“ Dem muss man sich als Besucherin oder Besucher schon stellen. Doch Schmidt-Rahmer beruhigt: „Es wird in etwa so anstrengend und verwirrend wie auch das Leben außerhalb des Theaters.“ Na dann.
Berlin Alexanderplatz | 19. (P), 23., 25.12., 4., 16., 17.1., 25.2. | Schauspiel Köln | www.schauspiel.koeln
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