„Mit Gummischlangen im Mund, die bittersüß wie das Leben schmecken, und mit lila Heidelbeersaft im Gepäck aus der Realität fliehen“, so beschreibt Claus Nicolai Six sein Gefühl zu „Muttertier“, das er im März am Schauspiel Köln zur deutschen Erstaufführung bringt. Im Stück kommen drei Geschwister am Krankenbett ihrer Mutter zusammen und erinnern sich zurück an ihre Kindheit. Die Mutter bleibt abwesend und hinter verschlossener Tür. Einen Eindruck von ihr erhalten die Zuschauer:innen ausschließlich durch das Verhalten und die Aussagen der Geschwister.
„Mich hat interessiert, wie die Kinder miteinander, aber jeweils auch für sich mit der psychischen Krankheit der Mutter umgehen, die sich von der Kindheit bis in die Gegenwart zieht“, so Six. Die drei Geschwister flüchten sich immer wieder aus dem Alltag in ihre eigene Fantasiewelt, in der sie die Szenen aus „Titanic“ (1997) nachspielen und in die Rollen von Jack und Rose schlüpfen. „Ich habe mich für die Poetik in der Sprache und in den Bildern interessiert und für die tänzelnde Leichtigkeit, mit der die Schwere des Themas erzählt wird“, erklärt Six. „Auch wenn sie in die Fiktion fliehen, können die Geschwister der Realität nicht ganz entgehen“. Denn so wie die Figuren im Film hätten auch die drei das Gefühl unterzugehen.
„Die Hälfte des Stücks wird chorisch gesprochen“, sagt Six. So treten die Kinder einerseits als eine Einheit auf, die zusammenhalten muss, andererseits entwickeln sie jeweils einen unterschiedlichen Umgang mit der Situation. Während das jüngste Kind hoffnungsvoll und verträumt in die Zukunft schaut, reagiert das mittlere Kind mit Lakonie und Wut. Das Älteste muss dagegen die Rolle der Mutter übernehmen. „,Muttertier‘ erzählt die Geschichte von drei Geschwistern, die Ende der 90er, Anfang der 2000er aufgewachsen sind. An den Text der jungen Autor:in konnte das ebenso junge Ensemble und die Regie sehr gut anknüpfen“, meint Six. Der:die Autor:in Leonie Lorena Wyss wurde 1997 in Basel geboren, für „Muttertier“ erhielt er:sie 2023 den Retzhofer Dramapreis.
Muttertier | 28. (P), 31.3., 3., 6., 9., 12., 30.4. | Schauspiel Köln, Grotte | www.schauspiel.koeln
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Parolen in Druckerschwärze
„Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ am Schauspiel Köln – Auftritt 03/24
„Es wird ein Kampf um Vormachtstellung propagiert“
Rafael Sanchez inszeniert „Die letzten Männer des Westens“ am Schauspiel Köln – Premiere 03/24
Dunkle Faszination
Franz Kafkas „Der Prozess“ am Schauspiel Köln – Auftritt 02/24
Wiederholungsschleife
„Soko Tatort“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 02/24
Standbein und Spielbein
Pinar Karabulut und Rafael Sanchez gehen nach Zürich – Theater in NRW 01/24
„Der Roman lässt mich empathisch werden mit einer Mörderin“
Regisseur Bastian Kraft über „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ – Premiere 01/24
Ein Martyrium der Erniedrigung
„Kim Jiyoung, geboren 1982“ am Schauspiel Köln – Auftritt 12/23
Ohne Opfer kein Krimi
„Soko Tatort“ am Schauspiel Köln – Prolog 12/23
Ende der Zivilisation
„Eigentum“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 11/23
Verliebt, verlobt, verlassen?
„Erstmal für immer“ am Schauspiel Köln – Prolog 10/23
Des Königs Tod und des Müllers Beitrag
„Yazgerds Tod“ am Schauspiel Köln – Auftritt 10/23
„Der Eigentumsbegriff ist toxisch“
Regisseurin Marie Bues bringt am Schauspiel Köln „Eigentum“ zur Uraufführung – Premiere 10/23
Mut zur Neugier
„Temptation“ in den Ehrenfeldstudios – Theater am Rhein 04/24
Wege aus der Endzeitschleife
„Loop“ von Spiegelberg in der Orangerie – Theater am Rhein 04/24
Wahllos durch die Zeitebenen
„Schlachthof Fünf“ am Theater im Ballsaal – Auftritt 04/24
„Ich mache keine Witze über die Ampel“
Kabarettist Jürgen Becker über sein Programm „Deine Disco – Geschichte in Scheiben“ – Interview 04/24
Das Theater der Zukunft
„Loop“ am Orangerie Theater – Prolog 04/24
„Wir wissen nicht viel über das Universum“
Ronny Miersch inszeniert „Der Mensch erscheint im Holozän“ am TdK – Premiere 04/24
Für die Verständigung
Stück für Gehörlose am CT – Theater am Rhein 03/24
Im Höchsttempo
„Nora oder Ein Puppenhaus“ in Bonn – Theater am Rhein 03/24
Lesarten des Körpers
„Blueprint“ in der Außenspielstätte der Tanzfaktur – Prolog 03/24
Musik als Familienkitt
„Haus/Doma/Familie“ am OT – Theater am Rhein 03/24
Schwarzblühende Bestie
„The Feral Womxn“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 02/24