All of Us Strangers
Großbritannien, USA 2023, Laufzeit: 105 Min., FSK 12
Regie: Andrew Haigh
Darsteller: Paul Mescal, Andrew Scott, Claire Foy
>> www.allofusarestrangers.de/
Hochemotionaler Seelentrip
Die ewige Suche nach einem Zuhause
„All of Us Strangers“ von Andrew Haigh
Die 80er-Jahre in England: Margaret Thatcher, der Falkland-Krieg, Bergarbeiterstreiks – und etliche Popbands in den Charts, die die heteronormativen Vorstellungen der Gesellschaft durch ihre Auftritte im Fernsehen, z.B. der Show Top of the Pops, ordentlich durcheinanderwirbelten: darunter Soft Cell, Culture Club, Bronski Beat, The Associates, Visage, The Communards, Erasure, The Smith oder die Pet Shop Boys und Frankie Goes to Hollywood. Die Ballade „The Power of Love“ von Frankie goes to Hollywood sieht sich der Mittvierziger Adam (Andrew Scott), der in den 80er Jahren in London aufwuchs, auch heute noch auf einem alten Videomitschnitt im Fernsehen immer wieder an. Auch, als ein Feueralarm losgeht. Es scheint nicht der erste Fehlalarm in dem fast unbewohnten Hochhaus am Rande Londons zu sein. Adam macht sich entspannt auf, das Haus zu verlassen. Unten angekommen, sieht er hinter einer Fensterscheibe den deutlich jüngeren Harry (Paul Mescal). Wieder in seiner Wohnung angekommen, klingelt dieser – offensichtlich angetrunken – und sucht Gesellschaft. Adam weist ihn und sein offensichtlich auch erotisches Angebot zur Zweisamkeit freundlich ab. Er ist zu sehr mit sich selber beschäftigt. Der Drehbuchautor sitzt an einem autobiografischen Stoff über seine Kindheit und Jugend. Als er zwölf Jahre alt war, sind seine Eltern bei einem Autounfall gestorben. Sein schwules Erwachen konnte er nicht mit ihnen teilen, seine Einsamkeit wurde nur von den gleichgesinnten Bands im Fernsehen ein wenig gemildert. Doch einen heilenden Zugang zu seiner Vergangenheit zu finden, fällt ihm schwer. Als er sich zum Haus seiner Kindheit aufmacht, trifft er auf seine Eltern (Jamie Bell und Claire Foy) im Alter ihres Todes – sie sind nun genau so alt wie er. Endlich kann er mit ihnen über alles sprechen, was bislang ungesagt blieb und ihn in eine große Einsamkeit getrieben hat. Als er wieder zurückkehrt, trifft er sich mit Harry, der ebenfalls unter seiner Einsamkeit leidet. Am nächsten Tag will Adam erneut seine Eltern treffen.
Die Story von „All of us Strangers“ basiert auf dem Roman „Ijintachi to no natsu (dt. Titel: „Sommer mit Fremden“, 2007) des japanischen Schriftstellers Taichi Yamada aus dem Jahr 1987, das gleich im folgenden Jahr von Nobuhiko Obayashi verfilmt wurde (engl. „The Discarnates“). Andrew Haighs Drama ist langsam erzählt und somit weit entfernt von einem actionhaften Zeitreisefilm. Am ehesten kommt einem noch „A Ghost Story“ von David Lowery von 2017 in den Sinn. Der Film nähert sich ähnlich langsam und vorsichtig seinem Protagonisten und seinem Leben, das wie unter einer Glasglocke erscheint. Schon am Anfang ist „All of us Strangers“ von einer tiefen
Einsamkeit und Traurigkeit durchzogen, die aber kaum konkret auf etwas bezogen ist, sondern eher als vages Grundgefühl den Film durchzieht. Das trifft sowohl auf Adam als auch dessen Gegenüber Harry zu. Aber gemeinsam soll man bekanntlich weniger einsam sein. Gespräche, ein Clubbesuch und Sex füllen die Leere, und auch die fortgeführten Besuche bei den Eltern bringen Adams Gefühle zum Schwingen – im Guten wie im Schlechten.
Andrew Haigh („45 Years“) ist ein hochemotionaler Film gelungen, der es schafft, in eleganten, traumwandlerischen Bildern die Seelen seiner Protagonisten zu erforschen. Dabei inszeniert er die fantastischen Momente seiner Zeitreise-Geschichte vollkommen unspektakulär, wie Tagträume. Das ähnlich gelagerte Spiel seiner Darsteller, allen voran Andrew Scott als Adam und Paul Mescal als Harry, fließt förmlich durch diese Bilder. Der Ire Andrew Scott, der viel für Theater und Fernsehen arbeitet, war zuletzt in Sam Mendes „1917“ im Kino zu sehen. Paul Mescal, ebenfalls aus Irland und viel im Theater und Fernsehen unterwegs, spielte zuletzt in Charlotte Wells „Aftersun“ und wurde mit dieser Rolle für den Oscar nominiert. Mit „All of us Strangers“ glänzt er zum zweiten Mal mit seiner Darstellung im wohl traurigsten Film des Jahres.
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