Über das Verhältnis von Kultur, Stadt und Sex ließe sich vieles sagen. Etwa, dass eine urban geprägte Stadt zugleich „das heilige Jerusalem und das sündige Babel“ sein muss, wie der Soziologe Walter Siebel meint. Eins steht dabei in jedem Fall fest: Ohne Geld geht wenig, egal ob privat oder Staat.Das Thema Steuern zu Beispiel. Wer will schon (mehr) Steuern zahlen? Nichtsdestotrotz versuchen die Städte angesichts ihrer leeren Kassen nach Möglichkeiten, ihre Not durch anderer Leute Abgaben zu lindern. Mehr Knöllchen verteilen ist dabei eine bescheidene, eher ziellose Variante. Das grün-rote Köln hat in mindestens zwei Fällen Wegweisenderes zu bieten. 2004 machte die Kulturmetropole weltweit Schlagzeilen, weil sie als erste eine Steuer für „die gezielte Einräumung der Gelegenheit zu sexuellen Vergnügungen in Bars, Sauna-, FKK- und Swingerclubs oder Kraftfahrzeugen“ einführte. Andere Städte zogen beim „Steuerquickie für Prostituierte“ bald nach. Im schwarz-grünen Stuttgart z. B. spült die Steuer seitdem regelmäßig etwa 1 Mio. Euro in die Stadtkasse. Rund um den Dom werden dagegen nur 800.000 Euro verbucht. Dabei hat Stuttgart zahlenmäßig nur gut die Hälfte der Einwohner Kölns. Sogar im noch kleineren Bonn zahlt frau im Verhältnis mehr an die Stadt als rheinaufwärts. Was sagt uns das, zumal das Land Baden-Württemberg über einschlägige Pauschalen landesweit 7,5 Mio. Euro zusätzlich einnimmt?
Sexsteuer und Matratzenmaut gibt es derweil in vielen Kommunen
2010 sorgte Köln noch einmal für Furore, als Norbert Walter-Borjans (SPD), damals Kölns Stadtkämmerer, heute rot-grüner NRW-Finanzminister, eine „Bettensteuer“ ins Spiel brachte. Über die andernorts sogenannte „Matratzenmaut“ wollte die Stadt beijederHotelrechnungeinen prozentualen Anteil zum Zwecke der Kulturförderung kassieren. Der Hintergrund: Die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung hatte die Mehrwertsteuer für Hotels gesenkt und damit indirekt die kommunalen Einnahmen reduziert. In Weimar gab es eine solche „Kulturförderabgabe“ zwar schon länger, doch Köln ist nicht Weimar. Am Rhein ist der Erregungsfaktor deutlich höher. Die Kulturschaffenden waren mit dem frischen Geld zwar etwas befriedigt. Aber das Gastgewerbe befürchtete Einbußen nicht nur bei sich. An den Hotelbetten hängen schließlich ganze Branchen: Restaurants und die Schankwirtschaft, Taxis oder Textilunternehmen, Rheinschiffer, die Shopping-Areale, Galeristen, vielleicht Callgirls und natürlich die Kultur. Via Umwegrentabilität hängt alles irgendwie mit allem zusammen – wegen der Urbanität.
Sexsteuer und Matratzenmaut gibt es derweil in vielen Kommunen. Die Nachahmungstäter schreckt auch nicht die neoliberale Warnung vor „Steuerausweichreaktionen“. Im alten Rom z. B. soll die Zahl der öffentlichen Bedürfnisanstalten zurückgegangen sein, weil der Kaiser sie besteuerte: pecunia non olet. Doch glaubt jemand ernsthaft, dass sich die Zahl der „Freudenhäuser“ verringern wird? Von den Betten ganz zu schweigen .
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