Nur ein Weg bleibt: die Vergangenheit. Gegenwart und Zukunft sind mit Sprachlosigkeit zubetoniert oder im Stacheldraht verendet. Fragen über das Geschehen verstummen trotz der Ausrufezeichen an ihren Enden. Warum! Wohin! Nur ein Wort bleibt. Es reicht, um die Abgründe einer Zivilisation aufzuzeigen: Shoa. Shoa bedeutet Untergang.
„Mein Onkel David“ aus der Feder von Regisseurin Svetlana Fourer befasst sich in der Alten Feuerwache mit dem über Jahrzehnte verschwiegenen Schicksal ihrer Familie. Dafür recherchierte sie unter anderen in den Archiven der Shoa Foundation. Im Zuge der Spurensuche stieß Fourer auf die Biografie ihres jüdischen Onkels David Idelevich Ochland, der die Gefangenschaft im KZ überlebte. Schauspielerin Yaroslava Gorobey erzählt auf einer bewegten, bilderbuchartigen Bühne von Fluchten aus dem Leben, das unter dem Terror der Nazis lediglich noch eine Hetzjagd durch abgerichtete, mordlüsterne Bluthunde darstellt. Begleitet wird sie von Komponist Matthias Bernhold mit einem bedrohlich stillen Soundtrack, der mit seinem Ausdruck von Schmerz und Unverständnis angesichts der begangenen Verbrechen die Halle vibrieren lässt. Über 120 Minuten gelingt es dem Duo, eine geistige, fast sakrale Dichte zu schaffen. Gorobey berichtet mit ruhiger, aber fester Stimme und scheinbar schwerelosem, geisterhaftem Körper über das Unheil der Ochlands – stellvertretend für Millionen Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns. Mit ihr als Stadtführerin begibt sich das Publikum über einst belebte Plätze, durch malerische Gassen und Boulevards der aufstrebenden Kleinstadt Kamjanez-Podilskyj, in der im August 1941 etwa 23.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder von SS-Truppen ermordet wurden. Ein Videointerview mit dem Onkel und das aufgenommene Telefonat mit einer Tante tragen die Inszenierung auf eine Ebene der persönlichen Aufarbeitung und damit aus der Anonymität heraus ans Licht des öffentlichen Bewusstseins.
Nach dem Terroranschlag der Hamas in Israel am 7. Oktober 2023 befindet sich die Zukunft weiterhin auf dem Pfad der Selbstauslöschung. In der gelebten kritischen Auseinandersetzung mit dem Gestern bleibt der Hoffnung ein Zeitintervall im Jetzt. „Mein Onkel David“ vom Jungen Theater Köln verfolgt diesen Pfad.
Junges Theater Köln: Mein Onkel David | 24., 25., 26.9. 20 Uhr | Alte Feuerwache Köln | www.junges-theater-koeln.de
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