Was für ein überwältigendes sinnliches Ereignis im Halbdunkel, das in seiner Schönheit und Unmittelbarkeit beeindruckt und doch einen düsteren, dramatischen Unterton besitzt! Die Ausstellung mit den Fotografien von Sebastião Salgado ist ein aufrüttelnder Appell: Auch wenn der aktuelle brasilianische Präsident den Naturschutz fördert und auch wenn die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes weltweit kritisiert wird – sie findet statt, indem tausende Farmen ihre Ländereien vergrößern und die indigenen Territorien zerstören. Dabei ist bekannt, dass der Regenwald für die gesamte Erde so wichtig ist, dass er Einfluss auf das Klima hat, für Biodiversität sorgt und dass er eben die Heimat indigener Völker ist.

Einer der prominentesten Mahner war der im Mai verstorbene Fotograf Salgado, der sieben Jahre lang die Bedeutung und Mächtigkeit, das Bedrohte und dadurch Bedrohliche in eindrucksvollen, hoch ästhetischen Aufnahmen dokumentiert hat. Sein Schwarz-Weiß ist in seinen Abstufungen intensiver als alle Buntheit. Im Rautenstrauch-Joest-Museum sind – erstmals in Deutschland – über 200 Fotografien zum Amazonas ausgestellt. Sie hängen teils mitten im abgedunkelten Raum, angestrahlt von Spots und begleitet von Soundscapes, die Jean-Michel Jarre arrangiert hat. Gegliedert wird die Präsentation durch Pavillons, die sieben der indigenen Völker mit fotografischen Porträts und Videoaufnahmen ihrer Anführer vorstellen, die von der bedrohlichenSituation und den Umständen ihres Lebens berichten.
Salgado hat aus der Vogelperspektive und aus allernächster Nähe fotografiert. Er überblickt die Weite des Flusses und den Regenwald, zeigt wunde Stellen und immer auch das Spektakuläre des Gebietes. Da sind die „fliegenden Flüsse“, die dadurch entstehen, dass die riesigen Bäume Feuchtigkeit in die Atmosphäre pumpen. Dann sind da die Wolken, die Berge und die Inseln, die von Wassermassen umspült werden. Auch taucht der Blick ein in das Gestrüpp und auf die dichten Blätter. Die Aufnahmen sind theatralisch, die Landschaft kommt hier, ohne Menschen und Tiere, nie zur Ruhe, und Salgado gelingt es, die Körperlichkeit des Waldes und der Landschaft herauszuarbeiten.
Sebastião Salgado, Mount Roraima.State of Roraima, Brazil, 2018, © Sebastião SalgadoSalgado ist mit diesen Aufnahmen wieder in sein Heimatland zurückgekehrt. 1944 in Minas Gerais geboren, sind er und seine Frau als Mitglieder der Protestbewegung gegen die Diktatur 1969 nach Paris geflohen. Von hier aus hat Salgado auf der ganzen Welt Krisen- und Unrechtsorte, an denen Völkermorde, Umweltverbrechen und Naturkatastrophen stattfanden, fotografiert, im Impetus als Reporter, in der Formulierung aber als Künstler. Dafür wurde er vielfach ausgezeichnet, mit dem Preis der Hasselblad Foundation, dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels oder dem Premium Imperiale. Noch wichtiger als alle Ehrungen dürfte das eigene, 1998 mit seiner Frau gegründete Instituto Terra sein, eine ehemals abgeholzte Farm, auf der bis heute mehr als drei Millionen Regenwald-Bäume gepflanzt wurden. Die Schönheit und Bedeutung des Amazonas-Gebietes zeigen nun die Fotografien.
Sebastião Salgado – Amazônia | mit einem umfangreichen Begleitprogramm bis 15.3. | Rautenstrauch-Joest-Museum | 0221 22 13 13 56
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