In deutschen Großstädten werden 50% aller Ehen geschieden, bei der Hälfte davon sind Kinder vorhanden. Die Statistik 2016 weist für ganz Deutschland rund 130.000 Scheidungskinder aus. Kinder, bei denen in der Mehrzahl der Fälle der Vater im ein- oder zweiwöchigen Rhythmus ein Wochenende mit ihnen verbringt. Es gibt auch Fälle, in denen sich der Vater nicht um die Kinder kümmert. Oder kein Besuchsrecht hat. Wie wirkt sich das Fehlen des Vaters auf Heranwachsende aus? Was bedeutet es speziell für Buben, wenn der Vater als Ansprechperson und Rollenvorbild wegfällt? Ulrich Schmidt-Denter, Professor für Entwicklungs- und Erziehungspsychologie an der Universität zu Köln, hat mit Wolfgang Beelmann die Kölner Langzeitstudie „Familiäre Beziehungen nach Trennung und Scheidung: Veränderungsprozesse bei Müttern, Vätern und Kindern“ verfasst. 60 Familien wurden in der Scheidungsphase über einen Zeitraum von 40 Monaten hinweg, später nochmals 6 Jahre nach der Trennung befragt. „Die Vaterforschung der letzten Jahre hat ergeben, dass der Vater immens wichtig ist für eine gesunde Entwicklung der Kinder, weil er anders spielt, interagiert und stimuliert als die Mutter. Das zeigt sich bereits in den ersten Lebensjahren“, erklärt Ulrich Schmidt-Denter. „Bei älteren Kindern sind die Gespräche und Unternehmungen mit dem Vater anders. Er leistet einen eigenständigen Erziehungsbeitrag.“ Ist der Vater abwesend, kann das bei Kindern zu Verhaltensstörungen führen. Buben im Grundschulalter fällt es schwerer, mit dem Scheidungsstress umzugehen, sie reagieren aggressiv, während Mädchen sich leichter an die Situation anpassen. „Die Fälle in Erziehungsberatungsstellen sind zu 80% Jungen, weil sie stören und verhaltensauffällig sind“, so Schmidt-Denter, „das Risiko, dass es zu Problemen in der Schule kommt, steigt mit einer Scheidung“.
Die Wissenschaftlerinnen Paula Sheppard, London School of Economics, und Rebecca Sear, Durham University, untersuchten anhand der Daten mehrerer tausend Männer, wie der Verlust des Vaters mit Pubertät, Heirat und Fortpflanzung zusammenhängt. Das Ergebnis: Vaterlose Jungen kommen später in die Pubertät und zeugen früher Kinder als ihre Geschlechtsgenossen mit Vater. Als Ursache wird Stress erwogen, der sich hormonell auswirkt. Auch nach Jahrzehnten zeigten sich Betroffene müde, misstrauisch, ängstlich und mit erhöhtem Gewalt- und Suchtrisiko. Dass besonders in der Pubertät das Vorbild des Vaters von großer Bedeutung ist, zeigt auch die Kölner Langzeitstudie. Vaterlose Jungen haben Probleme, ihre Identität zu finden, sie müssen sich öfters fragen, wie sich ein Mann in bestimmten Situationen verhält. Mütter können hier kein Vorbild sein, weil sie emotional anders reagieren, anders an Dinge herangehen.
„Der Stress ist nicht nur durch die Vaterabwesenheit, sondern auch durch Streitigkeiten der Eltern bedingt“, erläutert Schmidt-Denter. Laut Kölner Langzeitstudie wies ein Drittel der untersuchten Kinder aus Trennungsfamilien auch 40 Monate später noch ein hohes Maß an Verhaltensauffälligkeiten auf. Das Studienergebnis lautet vereinfacht gesagt: Je friedlicher die Eltern die Trennung hinbekommen, umso positiver wirkt sich das auf die Kinder aus. Umgekehrt führen anhaltender Streit zwischen Vater und Mutter zu Leidensdruck und Entwicklungsstörungen beim Nachwuchs. Der Studienautor rät daher zu Scheidungsmediation und einer gemeinsamen Sorgerechtsregelung. „Die Kinder profitieren davon, wenn das elterliche Betreuungssystem nach der Scheidung Stabilität aufweist. Wenn regelmäßige Betreuungsarrangements gefunden werden, die zuverlässig sind, also von den Müttern nicht torpediert und von den Vätern eingehalten werden“, so der Entwicklungs- und Erziehungspsychologe. Bricht der Vater die Vereinbarung, fühlt sich das Kind zurückgewiesen und ist enttäuscht, in weiterer Folge lässt die Bindung an den Vater nach.
Auch Frauen tragen ihren Teil zur Eskalation bei, indem sie ihren Ex-Männern den Zugang zum Kind erschweren oder verweigern. Dagegen protestieren inzwischen viele Väter, die sich in Selbsthilfegruppen organisieren. Sie fordern das gemeinsame Sorgerecht ab Geburt bzw. dass nach einer Trennung beide gleichberechtigt für die Kinder sorgen dürfen. Dies ist auch das Anliegen der Demo „Allen Kindern beide Eltern“ von „Väteraufbruch für Kinder“ (VafK) Köln, die am 9. Juni ab 13 Uhr vor dem Kölner Hauptbahnhof stattfindet. „Väter sind dafür da, ihrem Kind ihr ureigenes Rollenvorbild vorzuleben“, lautet eine der Forderungen.
Um Kindern im Trennungsprozess zu helfen, hat Ulrich Schmidt-Denter mit Kolleginnen und Kollegen ein Gruppeninterventionsprogramm entwickelt. Das therapeutische Angebot will Kinder unterstützen, die Reorganisation des familiären Systems gedanklich, emotional und verhaltensmäßig besser zu bewältigen. „Das Kind erfährt, dass es auch andere mit diesem Schicksal gibt, was entlastend wirkt. Emotionale Kernprobleme werden in der Gruppe angesprochen. Das Kind lernt, Ängste zu thematisieren, die Trennung der Eltern zu akzeptieren und loszulassen“, erklärt Schmidt-Denter. Er betont, dass der Vaterverlust nicht der einzige Faktor ist, der auf Scheidungskinder einwirkt. Ebenfalls großen Einfluss haben das soziale Netzwerk und die sozio-ökonomischen Bedingungen. „Eine amerikanische Studie hat gezeigt, dass viele nach einer Scheidung finanziell abstürzen. Das wirkt sich stark aus. In den USA können viele Trennungskinder nicht studieren, weil die Unterhaltspflicht des Vaters mit Erreichen der Volljährigkeit endet“, erläutert der Psychologe. „Umgekehrt kann der Vaterverlust kompensiert werden, indem eine andere Person das Rollenvorbild übernimmt.“ Ein weiterer Faktor für die Kindesentwicklung ist auch der Lebensstil der Mutter nach der Trennung. Wechselnde Partnerschaften führen zu Unruhe und mangelnder Stabilität. Ulrich Schmidt-Denter resümiert: „Kinder entwickelt sich am besten, wenn die Eltern zusammenleben“.
Bundesweite Demo „Allen Kindern beide Eltern“ | Sa 9.6. 13 bis 18 Uhr | Bahnhofsvorplatz Köln | www.vafk-koeln.de/demo
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vaeteraufbruch.de | Der Verein setzt sich dafür ein, dass bei Trennungen beide Eltern ein Recht auf Zugang zum gemeinsamen Kind haben.
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