choices: Herr Kopatz, was verstehen Sie unter „kurzer Vollzeit“?
Michael Kopatz: Die Reduzierung der durchschnittlichen Erwerbsarbeitszeit als Vollzeit von jetzt 37,5 auf 30 bis 32 Stunden. Das Konzept orientiert sich an der durchschnittlichen Lebensarbeitszeit. Es verknüpft eine Reihe schon bekannter Instrumente wie Arbeitszeitkonten.
Gibt es Ansätze für eine kürzere Arbeitszeit?
Der Tarifvertrag der Metallbranche sieht die 35-Stunden-Woche vor. Ein Mega-Beispiel für eine solidarische Teilung der Arbeit ist die Kurzarbeit. Mit ihr wurden mit staatlichen Zuschüssen Millionen Arbeitsplätze gesichert. Ein weiteres berühmtes Beispiel ist die 4-Tage-Woche bei VW. Auch andere Unternehmen wie die Telekom oder Mercedes Benz interessieren sich für work-life-balance. Der öffentliche Dienst ist allerdings in die endgegengesetzte Richtung gegangen.
Frauen arbeiten heute eher Teilzeit, Männer eher länger.
Deshalb richtet sich das Konzept „kurze Vollzeit“ vor allem an die Männerwelt. Männer können sich eine Absenkung ihrer Arbeitsstunden unheimlich schwer vorstellen. Wenn sie ihre Arbeitszeit im gleichen Maß reduziert hätten, wie die Frauen ihre Arbeitszeit erhöht haben, gäbe es keine Arbeitslosigkeit.
Weniger Erwerbsarbeit bedeutet weniger Lohn.
Das Konzept wird sich bei vollem Lohnausgleich nicht durchsetzen lassen. Das bedeutet aber nicht, dass, wenn man 20% weniger arbeitet, man auch 20% weniger Lohn bekommt. Das ergibt sich durch die Steuerprogression.
Für die unteren Tarifgruppen dürfte ein solcher Lohnverzicht kaum möglich sein.
Das stimmt, wir brauchen einen tarifgruppenunabhängigen Mindestlohn – wie etwa in Großbritannien üblich. Davon sind wir hier meilenweit entfernt. Ich plädiere aber nicht dafür, dass die Arbeitszeit wie in Frankreich gesetzlich geregelt wird. Um auch die unteren Einkommensgruppen einzubeziehen, muss ein Bonus-System eingerichtet werden.
Nützt die „kurze Vollzeit“ auch der Umwelt?
Bisher haben Umweltverbände und Gewerkschaften hier wenig kooperiert. Thema war vor allem grünes Wirtschaftswachstum. Das Zusammendenken von Arbeitszeit und Naturverbrauch ist ein neuer Gedanke. Dabei geht es auch um die grundsätzliche Frage, wie viel wirtschaftliches Wachstum wir uns noch leisten können, um etwa die Klimaziele zu erreichen.
Macht weniger Erwerbsarbeit glücklich bzw. glücklicher?
Mich persönlich schon. Aber es braucht Zeit, um den freien Freitag als einen Gewinn an Lebensqualität zu realisieren. Dazu muss das Klima im Betrieb stimmen. Auch deshalb ist eine breite gesellschaftliche Debatte über die Arbeitszeit nötig.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Wir steigern das Bruttosozialprodukt
Über Realitätsverlust, Lebensqualität und Geld - THEMA 04/12 GLÜCK
Kein Glück ohne Unheil
Martina Biesenbach über Kunst, Glück und Geld - Thema 04/12 Glück
Existenzsicherung vor Selbstbestimmung
Werner Eichhorst über Arbeit, Qualifikation und Autonomie - Thema 04/12 Glück
Gleichheit schafft Glück
Thomas Münch über Geld, Glück und regionale Unterschiede - Thema 04/12 Glück
Kulturschock
Intro – Kunst & Kultur
Inspiration für alle
Teil 1: Leitartikel – Wer Kunst und Kultur beschneidet, raubt der Gesellschaft entscheidende Entwicklungschancen
„Mich hat die Kunst gerettet“
Teil 1: Interview – Der Direktor des Kölner Museum Ludwig über die gesellschaftliche Rolle von Museen
Kultur am Kipppunkt
Teil 1: Lokale Initiativen – Bruno Wenn vom Kölner Kulturrat über die Lage der städtischen Kulturhäuser
Unbezahlbare Autonomie
Teil 2: Leitartikel – Die freie Theaterszene ist wirtschaftlich und ideologisch bedroht
„Ich glaube schon, dass laut zu werden Sinn macht“
Teil 2: Interview – Freie Szene: Die Geschäftsführerin des NRW Landesbüros für Freie Darstellende Künste über Förderkürzungen
Zwischen Bar und Bühne
Teil 2: Lokale Initiativen – Das Neuland als kulturelles Experiment im Bochumer Westend
Der Kulturkampfminister
Teil 3: Leitartikel – Wie Wolfram Weimer sein Amt versteht
„Kultur muss raus ins Getümmel“
Teil 3: Interview – Philosoph Julian Nida-Rümelin über Cancel Culture und Demokratie
Querschnitt der Gesellschaft
Teil 3: Lokale Initiativen – Das Kulturbüro Wuppertal als Partner der freien Szene
Die Kunstinitiative OFF-Biennale
Wer hat Angst vor Kunst? – Europa-Vorbild: Ungarn
Was hat Kultur denn gebracht?
Eine Erinnerung an Nebensächliches – Glosse
Branchenprobleme
Intro – Gut informiert
Teuer errungen
Teil 1: Leitartikel – Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss bleiben – und besser werden
„Die Sender sind immer politisch beeinflusst“
Teil 1: Interview – Medienforscher Christoph Classen über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
Aus den Regionen
Teil 1: Lokale Initiativen – Das WDR-Landesstudio Köln
An den wahren Problemen vorbei
Teil 2: Leitartikel – Journalismus vernachlässigt die Sorgen und Nöte von Millionen Menschen
„Das Gefühl, Berichterstattung habe mit dem Alltag wenig zu tun“
Teil 2: Interview – Medienwissenschaftlerin Marlis Prinzing über Haltung und Objektivität im Journalismus
Von lokal bis viral
Teil 2: Lokale Initiativen – Die Landesanstalt für Medien NRW fördert Medienvielfalt
Journalismus im Teufelskreis
Teil 3: Leitartikel – Wie die Presse sich selbst auffrisst
„Nicht das Verteilen von Papier, sondern Journalismus fördern“
Teil 3: Interview – Der Geschäftsführer des DJV-NRW über die wirtschaftliche Krise des Journalismus