Karin Kneffel, die Düsseldorfer Malerin, die mit ihren realistischen Schilderungen von Interieurs und szenischen Situationen internationale Anerkennung erfährt, zeigt ihre Aquarelle. Im Käthe Kollwitz Museum ist ein Überblick über die kleinformatigen Blätter der letzten Jahre, ergänzt um einige frühe Beispiele, zu sehen, der belegt, dass sie eine Meisterin auch dieses Fachs ist, eine „Herrin des Wassers“, wie Klaus Gerrit Friese beim Pressegespräch betont hat: Mit experimentellem Anspruch malt sie virtuos, im kleinen Format immens verdichtend, wobei sich mehrere Schichten transparent überlagern. Kneffel „spielt“ planvoll mit den Effekten, welche der Aquarelltechnik eigen sind.
Als ein wichtiges Sujet erweist sich die Putzfrau, die ihren Job mit Wasser erledigt. In einer Aquarellfolge kniet sie auf dem Boden, auf dem sich eine Pfütze gebildet hat. Der Boden reflektiert die Umgebung und wird zur spiegelglatten Fläche, über die ein Mann schlittert und mit den Armen balanciert. Karin Kneffel bezieht sich hier auf eine Sequenz der Hollywood-Komödie „Mein Freund Harvey“ mit James Stewart. In dieser bildet sich der Protagonist Elwood Dowd ein, dass ihn ein zwei Meter großer Hase begleitet. Thematisiert wird im Film die Kraft der Poesie und Illusion gegenüber der nüchternen Realität – mit diesem Konzept handelt nun auch Karin Kneffel in ihrem gesamten Werk. Sie schafft Atmosphäre im vermeintlich Sachlichen, ob das ihre frühen lichthellen Früchte oder die porträthaften Köpfe von Tieren betrifft, mit denen sie vor zwei Jahrzehnten schlagartig bekannt wurde, oder die queroblongen, wie verbotenen Einblicke in prächtige Salons, die etwas Verwunschenes tragen und dies augenblicklich an unsere Erinnerung delegieren. Kneffel evoziert Stofflichkeiten und Texturen. Auch verschiebt sie die Perspektiven, sie trennt zwischen Innen und Außen, hier und dort. Subtil interagieren Realität und imaginierte Aura. Was aber könnte dazu geeigneter sein als der Film – das Kino – und das Kunstwerk?
In der Kölner Ausstellung lässt sich ein Großteil der Bilder diesen zwei Bereichen zuordnen. Zu sehen sind Zuschauer beim Schauen von Zuschauern in einem Film, und eine Werkgruppe widmet sich der Malerei von Gerhard Richter in ihrem Oszillieren zwischen demonstrativer malerischer Faktizität und verwischtem s/w-Realismus.
Vielleicht hat Karin Kneffel aber auch an Jeff Walls Fotoarbeit „Morning Cleaning“ (1999) gedacht, die den Mies van der Rohe Pavillon in Barcelona zeigt mit einem Mann im Hintergrund, der ihn reinigt und damit kurzzeitig Unruhe in die strenge Ordnung bringt. Kneffel wiederum hat in diesem Pavillon 2014 ausgestellt. Und fünf Jahre davor hat sie ihre Bilder in einem Bauwerk von Mies van der Rohe präsentiert, ja, für diesen geschaffen, im Haus Esters in Krefeld: In diesen Gemälden blickt der Betrachter durch riesige Fensterscheiben in den Innenraum mit den historischen Kunstwerken, gebrochen durch die Verzerrungen, Reflexionen und Regentropfen, die sich als Schleier oder farbige Blasen vor dem Interieur befinden. Die Gegenstände verlieren jede Festigkeit, sind unbegreiflich und fast abstrakt ... All das gelingt ihr nun auch beim Aquarell: im intimen Format mit der insistierenden Flüchtigkeit. Wir sehen einen Luftballon, der sich unter einem Kreuzrippengewölbe festgeklemmt hat und Vergänglichkeit veranschaulicht, und blicken auf einen Beichtstuhl in Zeiten des Tourismus zwischen Kommerz und allseits bekannten Floskeln. Karin Kneffel erzählt Geschichten mit anekdotischem Potential, leichthin vorgetragen als Realismus, und in ihrer Intensität und Deutlichkeit tatsächlich noch der „Hausherrin“ des Ausstellungsortes – Käthe Kollwitz – verwandt.
„Karin Kneffel – Fallstudien“ | bis 19.4. | Käthe Kollwitz Museum | 0221 227 28 99
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