Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
17 18 19 20 21 22 23
24 25 26 27 28 29 30

12.629 Beiträge zu
3.851 Filmen im Forum

Foto: Cora Ochsenreiter

„Der Gewaltschutz von Frauen muss an oberster Stelle stehen“

20. November 2025

Irmgard Kopetzky vom Notruf Köln über die Bekämpfung von Gewalt an Frauen und Mädchen – Gleich Nebenan 11/25

Anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen und Mädchen am 25. November organisiert das Kölner Bündnis Lila einen Protestmarsch für das Recht auf ein gewaltfreies und selbstbestimmtes Leben für Frauen, Mädchen und FLINTA*.

Jede dritte Frau in Deutschland wird in ihrem Leben mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt. Vorfälle häuslicher Gewalt nehmen stetig zu, im Vergleich zum Vorjahr wurde 2024 ein Anstieg von ca. 3,8 Prozent registriert. Wie merken Sie diese Entwicklung in ihrer Arbeit?

Alle Einrichtungen, die sich für gewaltbetroffene Frauen engagieren, haben wirklich gut zu tun – und das auch schon länger. Je mehr das Thema durch die Medien geht, je traumasensibler auch berichtet wird, desto mehr Betroffene trauen sich, Anzeige zu erstatten und sich Hilfe zu holen. Das ist auf der einen Seite eine tolle Entwicklung. Auf der anderen Seite ist das Hilfesystem insgesamt leider noch nicht gut genug aufgestellt. Die gesetzlichen Grundlagen dafür wären da, aber an der Umsetzung hapert es noch. Wenn man sich anschaut, wie viele Frauenhausplätze in Deutschland fehlen und wie viele Frauen oft mit ihren Kindern weggeschickt werden müssen, ist das erschreckend. In jedem Einzelfall ist es furchtbar, wenn nicht geholfen werden kann.

Am 25. November findet anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen ein Protestmarsch statt. Eine der zentralen Forderungen ist die vollständige Umsetzung und konsequente Einhaltung der Istanbul-Konvention. Können Sie kurz erklären, was die Istanbul-Konvention ist und warum ihre Umsetzung so wichtig ist?

Die Istanbul-Konvention ist ein europaweites Übereinkommen zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen sowie häuslicher Gewalt. Auch Deutschland hat die Konvention unterzeichnet und sich damit verpflichtet, Unterstützungs- und Hilfsangebote für Frauen, die von Gewalt betroffen sind, in ausreichendem Umfang zur Verfügung zu stellen. Da gibt es in unterschiedlichen Bereichen, unter anderem zu Frauenhausplätzen oder Beratungsstellen, bestimmte Vorgaben, die je nach Einwohnerinnenzahl variieren und an denen sich orientiert werden soll. Allerdings ist in den letzten Jahren viel zu wenig und viel zu zögerlich an der Umsetzung gearbeitet worden. Unsere Forderung ist, das Thema mehr in den Mittelpunkt zu stellen, mehr Geld zur Verfügung zu stellen, die Umsetzung schneller zu betreiben. Der Bedarf an Unterstützung ist riesig, vor allem weil bei Gewalt gegen Frauen auch die Folgekosten so hoch sind – für die gesamte Gesellschaft. Diese fallen sowohl gesundheitlich als auch wirtschaftlich an, da viele Frauen zum Beispiel nach Gewalterfahrungen nicht mehr oder nur eingeschränkt arbeiten können. Diese Folgekosten könnten verhindert werden, wenn zügig eingegriffen wird, damit Frauen und ihre Kinder schneller wieder stabilisiert werden und ein selbstbestimmtes und gewaltfreies Leben führen können.

Gibt es Bereiche, in denen die Konvention schon gut umgesetzt wurde?

Es wird Verschiedenes auf den Weg gebracht, aber das ist leider noch nicht so spürbar. In Köln gibt es zum Beispiel seit letztem Jahr eine stadtweite Koordinatorin beim Amt für Gleichstellung, die für die konsequente Umsetzung der Istanbul-Konvention sorgen soll. Dadurch soll versucht werden, auch hier auf kommunaler Ebene die Vorgaben umzusetzen, aber gerade in Zeiten von knappen Haushalten bleiben solche Themen auf der Strecke.

Eine weitere Forderung ist die sichere Finanzierung von Frauenhäusern, Beratungs- und Unterstützungsangeboten für gewaltbetroffene Frauen und Mädchen.

Die Kölner Frauenhäuser sind immer überfüllt, es gibt aktuell nur zwei Einrichtungen. Seit vielen Jahren wird ein drittes Haus gefordert, das auch mittlerweile beschlossen wurde – allerdings ist es noch nicht gebaut. Das dauert leider viel zu lange, und selbst wenn es das dritte Haus dann mal wirklich gibt, reicht das immer noch nicht aus. Es würden immer noch mehr als die Hälfte der Plätze fehlen, die Köln haben müsste, um den Vorgaben der Istanbul-Konvention nachzukommen. Dabei ist es total wichtig, dass es ausreichend Zufluchtsstellen für Frauen und Mädchen jeglichen Alters gibt, zu denen sie vor allem in akuten Gewaltsituationen hingehen können. Diese Orte müssen auch ausgestattet sein für Frauen mit Behinderung oder für Frauen, die andere Sprachen sprechen. Das sind die Punkte, bei denen wir Beratungsstellen auch immer wieder an unsere Grenzen stoßen.

Sie setzen sich zudem für die Unterstützung von Frauen und Mädchen aus Kriegs- und Krisengebieten ein. Welche konkreten Unterstützungsangebote fordern Sie?

Es werden mehr internationale Mitarbeiterinnen benötigt, die die Frauen in ihrer Muttersprache betreuen können. Deswegen ist es so wichtig, dass ausreichend muttersprachliche Angebote und die Finanzierung von Dolmetschern gefördert werden – überhaupt, dass diese Beratungsstellen langfristig gesichert sind. Für Migrantinnen und geflüchtete Frauen gibt es aktuell leider nur wenige Anlaufstellen, deren Kapazitäten jedoch bereits am Limit sind und die deswegen immer wieder Aufnahmestopps machen müssen. Vor allem ist wichtig, dass es ausreichend niedrigschwellige Angebote gibt, die leicht aufzusuchen sind. Außerdem muss schon präventiv geguckt werden, dass Frauen und Kinder aus Kriegs- und Krisengebieten geschützt sind und sie schnell und anonymisiert untergebracht werden können, wenn dann doch Gewalt passiert. Natürlich sollte auch garantiert werden können, dass Betroffene anschließend entsprechend betreut werden und die notwendigen Schritte mit ihnen gegangen werden. Der Gewaltschutz für Frauen muss an oberster Stelle stehen, auch für Betroffene ohne deutschen Pass. Wir in Deutschland können uns das eigentlich leisten, aber in der Umsetzung klappt es leider an allen Ecken und Enden nicht.

Friedrich Merz hat vor Kurzem hinsichtlich Migration von einem „Problem im Stadtbild“ gesprochen. Später hat er auf Kritik zu seiner Aussage entgegnet: „Fragen Sie mal Ihre Töchter“. Was denken Sie dazu?

Mit der Aussage zu den Töchtern hat er im Prinzip Gewalt gegen Frauen und Mädchen instrumentalisiert, um Rassismus und Menschenfeindlichkeit zu rechtfertigen. Menschenverachtende Einstellungen und die Sicherheit von Frauen werden da so in einen Topf geworfen. Und natürlich gibt es zu viel Gewalt an Frauen und Mädchen, aber das muss differenziert werden und mit dem Ziel behandelt werden, tatsächlich was verändern zu wollen. Es gibt so viele Möglichkeiten, wie man konstruktiv und lösungsorientiert mit diesem Problem umgehen kann, und es hilft niemandem, wenn dies von Politikern für die eigenen Zwecke so missbraucht wird. Denn solche Aussagen wie die von Merz bergen einfach zu viel Potenzial für Ausgrenzung und Feindseligkeit. Wir sind ja keine spezifische Migrantinnen-Beratungsstelle, aber ich merke auch hier in der Arbeit mit Klientinnen, die eine Migrationsgeschichte haben, dass ihnen diese ganze Entwicklung Angst macht. Viele Frauen haben in der Regel eh damit zu kämpfen, wieder einen Fuß auf den Boden zu kriegen, und bekommen nun zusätzlich das Gefühl, dass sich die Stimmung verschärft. Nach dieser Merz-Aussage, da war hier richtig was los. Mehrere migrantische Klientinnen, auch unabhängig davon, dass sie eigentlich wegen der Gewaltberatung herkommen, haben angesprochen, dass ihnen die aktuellen Entwicklungen und deren mögliche Folgen akut Angst machen. Deswegen wird es bei der Demonstration am 25. November auf jeden Fall auch einen Redebeitrag zu dem Thema geben.

Welche weiteren Forderungen oder Redebeiträge sind bei der Demonstration zu erwarten?

Da wird es eine Vielfalt geben, unter anderem wird das Netzwerk gegen Feminizide, das erst im letzten Jahr gegründet wurde, eine Rede an der Fatiha-Gedenkbank im Leo-Amann-Park halten. Leider wird aktuell noch viel zu wenig  über dieses Thema gesprochen – dabei ist es so wichtig zu betonen: Jeder Feminizid ist einer zu viel. Das zu benennen und gezielt dagegen vorzugehen, wird leider auf politischer und rechtlicher Ebene noch nicht ausreichend behandelt. Ein Feminizid ist selbst noch kein eigener Straftatbestand, sondern läuft meistens unter Mord, was es deutlich erschwert, verlässliche Statistiken zu erstellen.

Warum ist diese Demonstration gegen Gewalt an Frauen so wichtig?

Die Demonstration läuft unter dem Motto „Wir nehmen uns die Nacht“, womit wir zeigen möchten, dass wir uns zu keiner Tageszeit einschränken lassen wollen, weder im öffentlichen noch im privaten Raum. Empowerment ist ein wichtiger Aspekt der Demo, da unter den Teilnehmenden jedes Jahr auch viele von Gewalt betroffene Frauen dabei sind. Häusliche und sexualisierte Gewalt wird häufig sehr individualisiert und ist mit viel Einsamkeit und auch Scham verbunden. Wenn man sich dann zusammentut und sieht, dass es anderen ähnlich geht, kann das unglaublich unterstützend und kräftigend sein.

Welche politischen oder gesellschaftlichen Maßnahmen sind ihrer Meinung nach sonst noch notwendig, um aktiv gegen Gewalt an Frauen vorzugehen?

Die politische Ebene ist die eine, die wichtig ist, gerade wenn es um die Finanzierung und Ausstattung von Einrichtungen geht. Vor allem ist es aber wichtig, dass jeder und jede im eigenen Umfeld Verantwortung übernimmt. Ob im privaten oder im öffentlichen Raum – man darf die Augen nicht verschließen. Von sexistischen Aussagen, zu denen man Position bezieht, bis hin zu konkreten Übergriffen, bei denen man Unterstützung anbietet. Zivilcourage ist das A und O. Wenn man sich vorstellt, einer selbst oder der besten Freundin, Schwester oder Tochter würde etwas passieren, dann würde man auch hoffen, dass die Leute im eigenen Umfeld tatsächlich aktiv werden und sich nicht wegdrehen. Und neben einer solidarischen Haltung, die man damit signalisiert, kann man im besten Fall  eine Frau wirklich vor Schlimmerem bewahren.

Demonstration zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen und Mädchen | Di 25.11. 18 Uhr | Neptunplatz, Ehrenfeld | lila-in-koeln.de

Interview: Cora Ochsenreiter

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.

Neue Kinofilme

Wicked: Teil 2

Lesen Sie dazu auch:

Theater von und für Frauen
Die BUSC zeigte im Stream das „Femme BUSCival“ – Bühne 03/21

Wie Frauen zu sein haben
Jovana Reisingers zweiter Roman „Spitzenreiterinnen“ – Wortwahl 03/21

#WeSitWithYou
Koreanerinnen erinnern an sexualisierte Kriegsgewalt – Teil 2: Lokale Initiativen

Autorinnen im Fokus
Weltfrauentag im Literaturhaus Köln – Literatur 03/20

„Wenn wir streiken steht die Welt still!“
Frauen*streikbündnis demonstriert am Weltfrauentag – Spezial 03/20

„Feminismus ein Gesicht geben“
Jasmin Mittag über die Ausstellung „Wer braucht Feminismus?“ – Interview 03/20

Revolution und Vulva-Lolly
„Revolt. She said. Revolt again.“ am Freien Werkstatt Theater – Theater am Rhein 03/20

Geheimnisse und Lügen
Rachel Cusks radikaler Bericht über das Mutterwerden – Textwelten 02/20

Schwarzer Feminismus
Natasha A. Kelly stellt ihr Buch in der KHM vor – Literatur 02/20

„Alice Birch verdreht Situationen und Sprache“
Killer&Killer inszenieren das feministische Stück „Revolt. She Said. Revolt Again.“ – Premiere 02/20

Die Gebär-Übermutter und der Philofeminist
„W.H.A.M.“ von c.t.201 an der Studiobühne – Auftritt 02/20

Ausgeliehene Perspektiven
Feministisches Literaturfestival „Insert Female Artist“ – Literatur 10/19

choices spezial.