Besonders im Fokus stehen der Brennpunkt am Neumarkt und der mögliche Umzug des nahegelegenen Konsumraums. Ein Gespräch mit Jane van Well, Sozialarbeiterin und Sachgebietsleiterin für Niedrigschwellige Hilfen beim SKM, der u.a. Anlauf- und Kontaktstellen für suchtkranke und wohnungslose Menschen anbietet.
choices: Frau van Well, wie würden Sie die Lebenssituation von substanzabhängigen Menschen am Neumarkt beschreiben?
Jane van Well: Wir vom SKM haben eine Kontaktstelle mit integriertem Konsumraum am Hauptbahnhof. Da machen wir gute Erfahrungen, weil wir den Menschen ein gutes Versorgungsangebot liefern. Dort haben wir nicht nur eine Kontaktstelle für Drogenabhängige, sondern auch ein Angebot für obdachlose Menschen. Am Neumarkt dagegen gibt es lediglich einen Konsumraum, in dem mitgebrachte Drogen konsumiert werden können, jedoch keine Möglichkeit, sich dort langfristig aufzuhalten. Zudem gibt es keine Basisversorgung im Sinne von Essen, Trinken oder Waschen. Sanitäre Anlagen sind ganz wichtig, sind aber nicht oder nur in ganz kleinem Rahmen vorhanden. Und dementsprechend ist das Elend im öffentlichen Raum relativ groß. Die Menschen gehen zum Konsumraum, müssen den jedoch schnell wieder verlassen. Viele nutzen unsere Kontaktstelle am Hauptbahnhof, um sich auszuruhen, sich ein paar Stunden hinzulegen, was zu essen, zu trinken oder zu duschen. So kommt es viel häufiger dazu, dass sie mit Sozialarbeitern überlegen, was sie an ihrer Situation verändern können. Dazu gehören auch Hilfestellungen wie die Beantragung von Personalausweis oder anderen Leistungen. Das ist am Neumarkt nur sehr begrenzt möglich. Auch die Streetworker vor Ort sind nicht in der Lage, dort nachhaltige Angebote zu schaffen.
Es fehlen also die weiterführenden Hilfsangebote am Neumarkt?
Ja, absolut. Das bedeutet, dass die Menschen im öffentlichen Raum bleiben, auffällig werden, was wiederum Anwohner und Geschäftsleute dann verständlicherweise beunruhigt und verärgert. Diese finden morgens dann schlafende Personen oder deren Hinterlassenschaften in ihren Hauseingängen. Natürlich ist das schlimm und man wünscht sich, das würde sich endlich verändern.
Wie zum Beispiel?
Ich bin der Überzeugung, dass eine Verbesserung durch ein komplexes Angebot erreicht werden könnte. Heute ist die Drogenszene am Neumarkt nochmal gravierender geworden, vor allem in den letzten anderthalb Jahren durch den enorm zugenommenen Crack-Konsum. Die Menschen sind durch die Droge schwieriger zu erreichen, weil sie aufgrund der kurzen Wirkungsdauer häufiger konsumieren müssen. Das führt dazu, dass sie für soziale Hilfen, für Streetworker, schlecht ansprechbar sind und dass sie schneller gesundheitlich abbauen. Um Crack zu rauchen, sind sie auch nicht auf den Konsumraum angewiesen. Das passiert im öffentlichen Raum. Nichtsdestotrotz, diese Menschen brauchen eine Anlaufstelle. Positive Beispiele gibt es schon in anderen Städten, wo Hilfsangebote von Crack-Konsumierenden genutzt werden. Die Situation am Neumarkt hat sich durch den Crack-Konsum verschlimmert. Umso wichtiger wird eine Kontaktstelle.
Ist Fentanyl in der Kölner Drogenszene angekommen?
Es scheint da zu sein. Am Neumarkt häufiger als am Hauptbahnhof. Es gibt nun an verschiedenen Stellen die Möglichkeit, Drogen darauf untersuchen zu lassen. Die Kollegen am Neumarkt haben mir bisher jedoch noch nicht gesagt, dass es eine Fentanyl-Schwemme gäbe.
Polizei und CDU schlagen einen neuen Konsumraum weit genug entfernt vom Neumarkt vor. Was halten Sie von dem Vorschlag?
Da ist erst mal die Frage, was die unter „weit genug entfernt“ verstehen. Es gab 2010 einen Konsumraum in Poll, der zur Entlastung beitragen sollte. Der wurde nach anderthalb Jahren wieder geschlossen, weil er nicht in Anspruch genommen wurde. Trotz bester Bedingungen. 2010 ging es um Heroinabhängige, die diesen Weg theoretisch eher schaffen würden als die Crack-Rauchenden von heute. Für den Polizeipräsidenten oder für CDU-Politiker heißt „dezentral“ dann in einem anderen Stadtteil, wo wenig Menschen, Schulen oder Kindergärten zu finden sind. Eigentlich optimal, aber die Leute vom Neumarkt gehen nicht dorthin und das muss man einfach realisieren.
Was schlagen Sie vor?
Wir sind der Meinung, diese Kontaktstellen müssen, klar, nicht auf den Neumarkt, aber auch nicht an einen Ort, den die Menschen nur mit der Bahn erreichen. Sie müssen fußläufig erreichbar sein. Diese Fantasie, die Dealer gehen dann mit an einen entlegenen Ort, sollte man nicht haben. Sie suchen sich nicht umsonst den Neumarkt aus: Viele Menschen, viel Trubel, und es ist leicht, direkt wieder unterzutauchen. Das ist an anderen Plätzen nicht möglich.
Die CDU plant einen Drogenkonsumraum vor dem Polizeipräsidium in Kalk. Da Sie gerade die Dealer angesprochen haben – welcher Dealer würde sich vor das Polizeipräsidium stellen?
Ja, genau.
Grüne, Linke und SPD haben hingegen die alte Kaufhofzentrale in der Nähe des Neumarkts vorgeschlagen. Sehen Sie diesen Raum als passend an?
Ja, total. Natürlich müsste man das Gebäude beispielsweise noch mit Duschen und einer größeren WC-Anlage ausstatten, aber die Entfernung zum Neumarkt und die Größe des Gebäudes sind erst mal optimal. Auch der Innenhof ließe sich sehr gut als geschützter öffentlicher Raum unter freiem Himmel nutzen, an dem die Menschen konsumieren können. Aus meiner und aus SKM-Sicht wäre das optimal.
Der SKM fordert die Umsetzung des Zürcher Modells. Was ist damit gemeint?
Nach dem Zürcher Modell muss es viele kleine, um den Szeneplatz verteilte, dezentrale Angebote geben. Hier heißt „dezentral“ dann nicht ganz weit draußen, sondern nur, dass sie nicht auf dem Neumarkt selbst liegen. Es gibt dann beispielsweise drei verschiedene Standorte, wodurch die Menschen tagsüber von einer Kontaktstelle zur nächsten ziehen können. Dies wird auch durch unterschiedliche Öffnungszeiten erreicht. Der öffentliche Raum wird also entlastet. Das können wir uns auch in Köln vorstellen. Aber ich glaube, die CDU denkt bei „dezentral“ dann an Kalk oder Mülheim, und das ist aus unserer Sicht nicht Sinn der Sache. Denn wir beobachten ebenso, dass nur selten Leute vom Neumarkt zur Kontaktstelle am Hauptbahnhof kommen. Die Hilfe muss schon nahe des Neumarkts sein.
Dass sie auch zur Kontaktstelle am Hauptbahnhof können, muss auch erst mal bei den betroffenen Personen ankommen, oder?
Ja, die Kontaktstelle am HBF ist allseits bekannt, aber für die Crack-Konsumenten am Neumarkt zu weit entfernt. Die Kollegen vom Streetwork machen da schon regelmäßig Werbung.
Sie meinen Kollegen vom ASC (Aufsuchendes Suchtclearing)?
Genau. Die Streetworker weisen dann wiederholt auf den Konsumraum am Hauptbahnhof hin, und nicht selten sind das dann Besucher, die anschließend öfter kommen. Sie schätzen die Ruhe und die Angebote in der Kontaktstelle, z.B. Mittagessen, Kaffee und weitere Getränke. Im Konsumraum am Neumarkt gibt es zwar mal Brötchen, aber kein vollwertiges Essensangebot. Das brauchen die Menschen unbedingt, um körperlich wieder zu Kräften zu kommen.
Als Gegenargument zum Zürcher Modell wird häufig angeführt, dass es bei der aktuellen Haushaltlage der Stadt nicht zu finanzieren sei.
Im Grunde ist das Modell natürlich teurer, denn es braucht viel Personal und Ausstattung. Da ist die Frage, ob die Stadt sich das leisten kann oder ob nicht erst mal ein komplexes Angebot am Neumarkt das Ziel sein sollte.
Welchen Einfluss hat die anstehende Kommunalwahl auf die Debatte?
Dieses Thema ist jetzt zentrales Wahlkampfthema geworden. Das hätten wir uns vor ein paar Jahren nicht ausdenken können. Ich freue mich über die Sichtbarkeit, aber das ist schon irgendwie Wahnsinn. Just am Freitag haben die Anwärter für das OB-Amt in einer Wahlarena intensiv darüber diskutiert – das war schon sehr interessant. Auf der konservativen Seite wird gern von der Entlastung des öffentlichen Raums gesprochen, für Andere stehen die Suchterkrankten, die Menschen, im Vordergrund. Für uns natürlich auch. Damit will ich nicht sagen, dass es den Menschen, die dort wohnen oder Geschäfte haben, nicht auch schlecht geht. Das verstehe ich total. Den seit kurzem ausgeführten Auftrag des Polizeipräsidenten jedoch, Menschen mit Einsatzkräften vom Neumarkt zu vertreiben, verstehe ich nicht. Die Drogenszene wird sich nicht auflösen. Gerade entsteht beispielsweise eine kleine neue Szene in Ehrenfeld – gepaart mit viel Verelendung. Da bekommt so ein kleines Veedel echt Probleme. Es kann nicht der Sinn sein, dass sich die Szenen an anderen Stellen bilden, wo es dann keine Hilfsangebote gibt.
Was plant der SKM konkret?
Wir haben ein Konzept geschrieben. Sozialdezernent Herr Rau hat ein Konzept geschrieben. Da gibt es sehr viele Überschneidungen. Wir haben gemeinsam resümiert und festgestellt, dass es eigentlich nur am Geld scheitert. Die Akquise der finanziellen Mittel ist nun die Aufgabe von Herrn Rau. Und ja, da müsste es an anderen Stellen abgezogen werden. Wir sind aber der Meinung, dass wir einfach mal anfangen müssen. Der aktuelle Konsumraum am Neumarkt kann das nicht auffangen. Es muss eine große Einrichtung sein. Aus meiner Sicht auch erst mal nur eine. Erweitern kann man das Angebot immer. Dafür bräuchte es auch nicht die von Herrn Rau ausgerechnete Geldsumme. Er hat sich sehr nah am Zürcher Modell orientiert und kommt auf 14 Millionen Euro. Das ist natürlich eine Hausnummer. Der SKM sagt: Wir sind auf jeden Fall bereit. Wir haben Erfahrung. Wir haben verschiedene Kontaktstellen, mit Konsumraum, mit Notschlafstellen und so weiter. Also wir können das – und wir können das auch am Neumarkt. Man muss uns nur Bescheid sagen, dann sind wir dabei.
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