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Nicola Schubert in der Kölner Altstadt
Foto: Thomas Dahl

„Was kann eine neue Männlichkeit sein?“

28. August 2025

Nicola Schubert über ihr Stück „To #allmen“ an Groß St. Martin – Premiere 09/25

Zur Spielzeiteröffnung zeigt die Studiobühne eine Audiowalk-Performance über Femizide und häusliche Gewalt. Ein Gespräch mit der Autorin, Schauspielerin und Regisseurin Nicola Schubert, drei Wochen vor der Premiere.

choices: Frau Schubert, an alle Männer oder nicht alle Männer? Wie beantworten Sie die Frage?

Nicola Schubert: Ich kann das nicht beantworten. Die Frage ist auch, was eine neue Männlichkeit sein kann. Global gesehen geht es momentan zurück zu einem Bild männlicher Vormachtstellung, wenn man sich Despoten wie Putin oder Trump anschaut. Gleichzeitig werden queere und weibliche Identitfikationsmodelle klein gemacht. Es ist Zeit, dass Cis-Männer anfangen, sich mit ihrer Männlichkeit auseinanderzusetzen, miteinander zu reden, und aufhören, sich darüber zu beschweren, dass sie nicht alle so seien.

Wie hoch kalkulieren Sie den Männeranteil im Publikum des neuen Stücks?

Ich wünsche mir, dass möglichst viele kommen. Ich mach mir keine Illusionen, dass auch bei diesem Projekt der Frauenanteil höher ist.

Wie realistisch ist es, die selbstgekürten Herrscher, feigen Schläger, Vergewaltiger und Mörder zu erreichen?

Dass die auftauchen, glaube ich nicht. Aber ich denke, dass alle Männer die Chance haben, solche Themen im eigenen Umfeld einzubringen und etwas zu verändern. So, wie wir alle im täglichen Kontakt etwas für Demokratie tun können. Fans von Maximilian Krah werden vermutlich nicht kommen. Falls doch, muss man schauen, wie sich das verhält. Vermutlich sind die Zuschauer:innen, die den Weg finden, offen für die Problematik. „#allmen“ ist eine Einladung, ins Gespräch zu kommen, verspricht aber keine Antworten auf die komplexen Fragen.

Das Stück ist eine Audio-Performance, deren Handlung die Zuschauer:innen über Kopfhörer folgen. Warum?

Ich möchte mit den Kopfhörern eine gewisse Intimität im offenen Raum schaffen, die gleichzeitig auch ein Schutzraum ist, weil nicht jeder mithören kann.

Sie spielen in der Inszenierung auch die Hauptrolle. Wie haben Sie sich auf die Darstellung vorbereitet?

Wir sind noch mitten in den Proben. Ich arbeite eng mit meiner Szeneografin Clara Kulemeyer zusammen. Man ist immer auf ein Feedback von außen angewiesen. Bei früheren Stücken wurden Szenen auch mit Video aufgenommen, damit ich sie mir später anschauen konnte. Mir waren beim Schreiben schnell einige Bilder für die Inszenierung klar, aber da möchte ich nicht zu viel verraten.

Sie zitieren in der Ankündigung eine Leuchtgestalt des Feminismus, Simone de Beauvoir. Beobachten Sie auch mehr Männer, die ihre Stimme gegen Diskriminierung, verbale und körperliche Gewalt erheben?

Mein Algorithmus hat sich im Zuge des Projekts bei den Sucheingaben im Netz ein wenig angepasst. Ich bekomme immer mehr männliche Influencer zugespielt. Auf jeden Fall gibt es diese Männer. Kulturstaatsminister Wolfram Weimer will jetzt aber kein Gendern in seinem Ministerium und legt allen Institutionen nahe, die eine öffentliche Förderung erhalten, dies auch zu unterlassen. Die Frage ist: Wer ruft da den Kulturkampf gegen wen aus und wer redet ihn herbei? Wir werden sehen, wie sich die queerfeministische Fürsprache von cis-männlicher Seite im Zuge dieses offensichtlichen Rechtsrucks der Konservativen entwickelt.

Die Unterdrückung und Stigmatisierung von Frauen zieht sich durch die Geschichte. Was sind die Brandbeschleuniger, die heute den Hass auf Frauen entfachen?

Ich glaube, es gibt ein kollektives Gefühl von männlichem Kontrollverlust. Es wäre viel zu einfach, zu sagen, der Feminismus sei daran schuld, und ich halte es auch schlicht für falsch. Ich denke, dass die ökonomischen und strukturellen Verhältnisse etwas damit zu tun haben. Wenn es Leuten schlechter geht, treten sie nach unten. Das sieht man daran, wie über Bürgergeldempfänger:innen, Migrant:innen, Frauen und Queere gesprochen wird. Zudem ist es durch die hohen Lebenshaltungskosten auch schwieriger für Frauen geworden, aus gewalttätigen Beziehungen auszubrechen, wenn eigene Wohnungen nicht mehr bezahlbar sind. Gerade Frauen mit Kindern haben es da schwer. Wie soll man als alleinerziehende Mutter ein Leben führen, das nicht in die Armut rutscht? All dies sind Verkettungen von Umständen, die die Situation beeinflussen.

Wie groß ist die Mitschuld selbst seriöser Medien an den täglichen Tragödien?

Das ist eine schwer zu beantwortende Frage. Wir haben im Stück einen Exkurs eingebaut. 1991 wurde in einem Gebüsch in der Innenstadt die Leiche von Angelika Beyer gefunden. Sie war vergewaltigt und ermordet worden und lag zwei Tage dort. Die Boulevardmedien haben intensiv darüber berichtet. Das ging dann bald in die Richtung „Victim blaming“ (Täter-Opfer-Umkehr, d. Red.). Ich glaube, so etwas gibt es in der Form nicht mehr in den Tageszeitungen. Heute bieten die sozialen Medien da wesentlich mehr Raum für frauenfeindliche Sichtweisen oder die Verherrlichung von Gewalt.

Welche politischen Maßnahmen fordern Sie zum verstärkten Schutz von Frauen?

Ich schließe mich den Forderungen aller Frauenhäuser zum massiven Ausbau der dortigen Plätze an. Es fehlen tausende davon. In Großbritannien sollen Misogynie (Frauenhass, d. Red.) und toxische Männlichkeit Teil des Schulunterrichts werden. Eine der nachhaltigsten Strategien liegt in der Prävention. Ich glaube, es dauert gerade mal acht Minuten, bis der Algorithmus dich im Netz nach der Identifikation als junger männlicher User mit Inhalten der sogenannten „Manosphere“ überschwemmt, die sich in Verlautbarungen von Andrew Tate (antifeministischer Influencer, d. Red.) und Co. offenbaren. Man muss bei der Bildung ansetzen, damit wir nicht in 15 Jahren eine Quote von 70 Prozent an Männern haben, die ein geschlossen frauenfeindliches Weltbild haben. Das gleiche gilt für die Täterarbeit. Da gibt es viel Bedarf.

Sind Ihnen andere Gesellschaftsmodelle bekannt, von denen man lernen kann?

In Spanien gibt es den Femizid als Straftatbestand im Strafgesetzbuch. Im deutschen juristischen System gibt es mitunter sehr viele Vorbehalte und Verständnis für Eifersucht als Motiv bei gewalttätigen Männern. Es wird zum Teil auch nach der „Mitschuld“ von Frauen gefragt – als ob es die gäbe. Tatsache ist, dass die Zahlen steigen. Das ist durch den Lagebericht Häusliche Gewalt seit einigen Jahren in der Politik angekommen, aber es muss auch etwas passieren und darf sich nicht in Lippenbekenntnissen erschöpfen.

Wie hoch sind die bürokratischen Hürden für eine Inszenierung im öffentlichen Raum der Stadt Köln?

Zunächst einmal war die Fördersituation nicht einfach. Ich habe lange um die Finanzierung des Projekts gekämpft. Ich habe einen sehr angenehmen Kontakt zum Ordnungsamt, das im Sommer immer eine Fülle von Anträgen bearbeiten muss. Ich kenne es aus anderen Städten dennoch viel einfacher. Zum Vergleich: Mein erster Kontakt zum Ordnungsamt Köln war im Mai dieses Jahres. In Hagen und Dortmund hat es dagegen in Bezug auf die Wiederaufnahme eines früheren Stücks gerade mal drei Tage gedauert. In Dortmund fiel das unter Kunst im öffentlichen Raum und konnte sofort angemeldet werden. Die Bestätigung dafür folgte prompt. Ursprünglich wollte ich auf dem Alter Markt spielen. Das darf ich nicht. Dort sind meines Wissens nach nur der Weihnachtsmarkt und Karneval erlaubt. Ich finde das einschränkend, weil der öffentliche Raum allen gehören sollte.

Der Spielort rund um die Kirche Groß St. Martin versinnbildlicht das Patriarchat des christlichen Abendlandes. Stand auch die Hohe Domkirche St. Petrus alias Kölner Dom zur Debatte?

Nein. Ich wollte die Nähe zum Rathaus, daher der Alter Markt. Es stimmt natürlich, dass die Kirche in puncto Hexenverfolgung mitverantwortlich für den Tod von Frauen war, aber auch die damalige Politik. Am Alten Kölner Rathausturm gibt es ja auch die Figur von Katharina Henot, die als Hexe verbrannt worden ist.

To #allmen | 3. (P), 4., 5.9. je 19 Uhr, 6.9. 17 + 19 Uhr, 7.9. 18 Uhr | an Groß St. Martin | 0221 470 51 50

Interview: Thomas Dahl

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