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Christiane Büchner im Filmhaus Köln
Frank Brenner

Wohnungskaufketten

28. Januar 2022

„pereSTROIKA – umBAU einer Wohnung“ im Filmhaus – Foyer 02/22

Donnerstag, 27. Januar: Über mehrere Monate hinweg und mit insgesamt vier Filmabenden hatte sich der Verein „Köln im Film“ in der Reihe „Stadt Wohn Raum“ den verschiedenen Facetten des städtischen Zusammenlebens angenommen. Dabei hatte man durchaus auch den Blick über den Tellerrand gewagt und sich nicht nur auf die Situation in der Domstadt beschränkt. Deswegen wurde am letzten Themenabend der Reihe Christiane Büchners Dokumentation „pereSTROIKA – umBAU einer Wohnung“ aus dem Jahr 2008 gezeigt. Die Filmemacherin, die zur Projektion auch persönlich anwesend war, beleuchtete darin eine hierzulande weitgehend unbekannte Situation im St. Petersburg der post-kommunistischen Zeit. Etliche luxuriöse Stadtwohnungen der Zarenzeit, die nach der Oktoberrevolution enteignet und in Kommunalwohnungen umgewandelt wurden, in denen auf 200qm bis zu 80 Personen untergebracht waren, gingen nach der Wende in den Privatbesitz ihrer Bewohner über. So kam es, dass in den 1990er Jahren oftmals jedes Zimmer einer Wohnung einem anderen Besitzer gehörte. Im Laufe der Jahre wurde versucht, die kompletten Wohnungen wieder in eine Hand zu verkaufen, was nicht selten an der Unvereinbarkeit der Ansprüche der verschiedenen Besitzer scheitern musste.


Marion Kranen im Gespräch mit der Filmemacherin, Foto: Frank Brenner

Schwierige Dreharbeiten

Beim Publikumsgespräch im Filmhaus Köln erzählte Christiane Büchner, dass sie selbst einige Jahre in Russland gelebt hatte, ab 1990 auch einige Zeit in einer solchen Kommunalwohnung in St. Petersburg. Nach der Wende hätten rund 60% der 5 Millionen Einwohner der russischen Metropole in solchen Kommunalwohnungen gelebt, zum Zeitpunkt der Dreharbeiten sei die Quote allerdings bereits auf rund 10% abgesunken gewesen. Da die Regisseurin aus ihrem unmittelbaren Bekanntenkreis mitbekommen hatte, wie in diesen Jahren das Schachern um begehrte Wohnräume im Zentrum von St. Petersburg losgegangen sei, wollte sie die Abläufe bei einem solchen Verkauf gerne dokumentarisch festhalten. Dabei sei es „unglaublich schwierig“ gewesen, „Protagonisten zu finden, die einwilligten, bei der Abwicklung von der Kamera begleitet zu werden.“ Büchner sei schnell klar gewesen, dass sie zunächst das Einverständnis einer Maklerfirma benötigte, und von dort dann eine Eigentümergemeinschaft finden musste, die ebenfalls nichts gegen die Dreharbeiten einzuwenden hatte. Drei Maklerfirmen kamen schließlich in die engere Auswahl, weil sie ihr Interesse am Filmprojekt signalisierten. Doch unmittelbar vor Drehbeginn hatten Investoren aus Moskau erkannt, dass man in St. Petersburg leicht an günstige Immobilien gelangen konnte. Die Immobilienblase platzte und es standen nur noch wenige Wohnungen zum Verkauf, weil die Moskauer den Markt leergekauft hatten. Büchner gelang es trotzdem, ihren Film zu realisieren, dessen Gelingen während der gesamten Dreharbeiten in der Schwebe hing. Beim finalen Verkauf kam es zu weiteren Unwägbarkeiten, die nach Meinung Büchners schließlich nur deswegen überwunden werden konnten, „weil wir zu diesem Zeitpunkt mit dem Drehteam anwesend waren“. Auf diese Weise hat die Dokumentation selbst indirekt Einfluss auf den Ausgang des von ihr Dokumentierten genommen.


Christiane Büchner berichtet, Foto: Frank Brenner

Vom Kommunismus zum Kapitalismus

Die komplexe Wohnungskaufkette kam letzten Endes also doch zustande. Die einzelnen Zimmer der dokumentierten Wohnung gingen an eine einzige Käuferin, wohingegen die individuellen BesitzerInnen der Zimmer vom Erlös selbst wieder andere Zimmer in Kommunalwohnungen kauften, deren VorbesitzerInnen sich ihrerseits auch wieder woanders einkauften. Büchner erläuterte die dahinterstehende Idee: „Es geht darum, für jeden von ihnen die Lebenssituation zu verbessern, doch am Ende muss immer jemand draufzahlen.“ Für einige hat die neue Wohnung doch ein paar Quadratmeter weniger als die alte oder man muss mit einer größeren Anzahl Miteigentümer zurechtkommen. Das Phänomen sei auch heute noch „als hartnäckiger Bodensatz“ in St. Petersburg vorhanden und unterstreiche anschaulich, wie mühsam die Transformation vom Kommunismus zum Kapitalismus sei, so Büchner. Seine Uraufführung hatte „pereSTROIKA – umBAU einer Wohnung“ im Jahr 2008 im deutschen Wettbewerb der DOK Leipzig gefeiert und ging anschließend erfolgreich auf Kinotournee. Büchner vermutet, dass ihr Film damals so begeistert und interessiert aufgenommen wurde, weil er gleichzeitig mit der Bankenkrise erschien und inhaltlich deswegen „sehr breit gelesen und in seiner Thematik sehr ernst genommen wurde.“ Zum Ausklang des Themenabends kündigte Marion Kranen von „Köln im Film“, die das Bühnengespräch mit der Regisseurin moderierte, an, dass für Sommer 2022 eine Fortsetzung der Reihe zum Thema Wohnen geplant sei. Aktuelle Informationen dazu kann man der entsprechenden Website https://www.koeln-im-film.de/ entnehmen.

Frank Brenner

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