„Unser Haus steht für Integrität. Wir haben keinen Bock auf Integration!“, verwundert Elizaveta Khan im choices-Gespräch zunächst mit der Aussage zum gemeinnützigen Verein, den sie mit ihrer Kollegin Getrud Weitze-Altreuther vor mehr als zehn Jahren gründete. „Es gibt zu wenig Integrität. Die Aussagen aus der Politik und den Verwaltungen zu Menschenrechten sind mitunter einfach nur Bullshit. Ich kann es nicht mehr hören. Das ist angesichts der seit Jahren verheerenden Situation doch erlogen, denn die Gesetze sprechen eine andere Sprache. Wozu zum Beispiel brauchen wir ein Ausländeramt? Wozu brauche ich eine Genehmigung, um an diesem Ort der Welt zu leben? Es reicht nicht, zu sagen: Vielfalt ist schön und wichtig – das muss auch gelebt werden“, zeigt sich die Geschäftsführerin und Sozialpädagogin erzürnt.
In den Räumlichkeiten am Ottmar-Pohl-Platz sollen die Besucher unabhängig ihrer nationalen Herkunft eine Stätte finden, die ihre Identität nicht in Frage stellt und unbürokratisch bei der Lösung von Problemen hilft. Auch inmitten der Coronapandemie suchen täglich bis zu 100 Personen die Adresse auf. „Viele der Antragsformulare bei den Ämtern sind unverständlich und stellen eine viel zu hohe Hürde für die Leute dar. Auch die Auflagen sind mitunter nicht nachzuvollziehen. Man schickt beispielsweise Leute zu Maßnahmen, die noch gar keinen Deutschkurs besucht haben, die noch nicht einmal alphabetisiert sind. Oder man fordert Bescheide von der Familienkasse oder von Unterhaltsvorschüssen, dabei sitzen die jeweiligen Behörden im selben Gebäude. Geht doch einfach runter und fragt nach! Warum müssen wir Kontoauszüge von sechs Monaten kopieren, wenn es um 70 Euro geht?“, fasst sich die gebürtige Russin, die 1991 als Geflüchtete nach Deutschland kam, an den Kopf.
Geprägt von den eigenen Erfahrungen, verfolgt Khan mit ihrem Team niedrigschwellige Ziele, die mit Sprachkursen, Behördenbegleitungen und kreativen Angeboten für die Besucher der Einrichtung realisiert werden. „Wir sind eines der reichsten Länder der Welt und erlauben uns, dass Kinder keine 10 Euro für die Bezahlung des Nachhilfeunterrichts oder die Anmeldegebühren für einen Fußballverein erhalten. Dass wir uns das leisten, während wir all diese Anträge ausfüllen und Porto verschwenden, ist unglaublich. Es kann nicht sein, dass so ein reiches Land sich so viel Armut erlaubt. Das ist pervers“, zeigt sich Khan fassungslos. „Vor allen Anträgen, Erklärungen oder Dokumentenbeschaffungen geht es doch erstmal darum, einen Ort zu schaffen, an denen die Menschen einfach nur sein können“, so die Referentin für Rassismuskritik.
Eine der Besucherinnen im Integrationshaus Kalk ist Amal Alnukari, die 2019 aus Syrien flüchtete. „Ich war in meiner Heimat Englischlehrerin und weiß noch nicht, was ich in Deutschland beruflich machen werde. Vielleicht kann ich später als Beraterin arbeiten“, berichtet die Sprachkursteilnehmerin in beeindruckendem Deutsch. „Alle hier sind sehr nett. Ich habe in kurzer Zeit viel gelernt. Man bemüht sich sehr um mich. Selbst, wenn die Kurse vorbei sind, heißt man uns willkommen. Das ist ein schönes Gefühl“, so Alnukari. Auch Şaristan Akbal ist dem Verein dankbar: „Ich habe mich als Kurdin in der Türkei nicht mehr sicher gefühlt. Seit eineinhalb Jahren bin ich nun in Deutschland. Ich war lange unterwegs, bis ich hier ankam. Das war eine schwere Zeit. Das Integrationshaus hat mich mit offenen Armen empfangen und mir ein Zimmer in einer Wohnungsgemeinschaft vermittelt. Außerdem hat man mich bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz als Zahnarztmedizinische Helferin unterstützt. Die Leute hier haben mich nie alleine gelassen“, erzählt die 22-Jährige. Als Übersetzerin engagiert sich die junge Frau für die Belange des Vereins.
Einen fließenden Übergang zur festen Mitarbeiterin des Hauses schaffte Elena Shmidt. Die gebürtige Russin kümmert sich um die behördlichen Probleme der Besucher, nachdem sie zuvor als Aushilfe in der Kinderbetreuung – einer weiteren Offerte der Stätte – tätig war. „Für unser Anliegen gibt es in Russland kein Wort. Für mich ist die Arbeit eine tägliche Reflexion über die Befindlichkeit der Menschen. Die Begrifflichkeit ‚Integration‘ ist bei mir eher negativ besetzt, denn es geht ja eigentlich um elementare Bedürfnisse. Menschen brauchen Orte wie das Integrationshaus, einen Platz, wo man gehört, gesehen und akzeptiert wird. Sie benötigen schlicht eine Möglichkeit zur Existenz. Ich verstehe nicht, wie die Leute in den Ämtern diesen Gedanken so ausblenden können“, sagt Shmidt.
Doch stößt nicht auch das Integrationshaus an Grenzen? Ist nicht auch die Energie zur uneigennützigen Hilfe eine endliche Ressource? „Von Liebe kann es nie genug geben. Wir kommen jeden Tag an unsere Grenzen. Daher haben wir auch eine Widerstandshaltung. Unsere Bemühungen lassen sich nicht immer ohne diese Einstellung umsetzen. Wenn Menschen illegalisiert werden, machen wir nicht mit und schöpfen aus diesem Grundsatz neue Kraft. Der Mensch hat das Recht, irgendwo sein zu dürfen und somit auch hier. Heimat ist für mich ein Ort, an dem ich nicht in Frage gestellt werde. Eine Frage wie ‚Was machst du hier?‘ ist doch vollkommen uninteressant. Viel interessanter ist: ‚Wer bist du?‘“, beschreibt Elizaveta Khan ihre Vision einer gerechteren Zivilisation. Auf dem Weg in diese Utopie soll das Integrationshaus durch die Gründung einer Stiftung unabhängiger werden, vor allem auch, um die Finanzierung der Vorhaben und das Credo der Stätte in der Auseinandersetzung mit den Anforderungen behördlicher Auflagen zu sichern. „Dieses Haus ist unser Haus!“, sagt Amal Alnukari und meint damit den Menschen und dessen Persönlichkeit vor seiner Aktennummer.
Integrationshaus e.V. | Ottmar-Pohl-Platz 3 und 5, 51103 Köln | 0221 99 74 57 52 | www.ihaus.org
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