Was sind Supermöbel? Der Superlativ kennzeichnet den Supermann und die Supermama; bei beiden setzt er ungeahnte Kräfte frei, die bei Bedarf aktiviert werden. Jedenfalls, die biedere Fassade täuscht.
„Supermöbel“ sind demnach etwas anders als erwartet, auch wenn sie sich auf das vertraut-private Ambiente des Wohnens, Schlafens und Kochens beziehen. Die Agenda der angenehm unberechenbaren Ausstellung im Kunstverein wechselt zwischen Surrealismus und Formspiel, Traum, pragmatischer Realität und technoider Utopie. Das Thema des Mobiliars aus der Perspektive von Künstler:innen wurde zwar schon vielfach in Ausstellungen gewürdigt. In den 1970er Jahren war es ein eigener Bereich auf der Documenta; später wurden dann die Designer vom Kunstbetrieb umgarnt und selbst zu Künstlern, in Köln besonders die Gruppe „Pentagram“. Im Kunstverein aber geht es um die jetzige Gegenwart, in der der private Wohnraum als Rückzugsort noch vor dem multimedialen öffentlichen Lärm schützt und erst recht die Fantasie zulässt und anregt. Und so erweitert sich das Thema linear und sprunghaft, befragt Funktion und Dysfunktionalität und berücksichtigt die Verwandtschaften zur Architektur und zur anatomischen Konstitution des Menschen. Im Zentrum der Ausstellungshalle findet die harte Landung auf dem Teppich von Michael Beutler statt, der als Flickenteppich in die Jahre gekommen ist. Mit seinen gestrickten Reihen wird er schlagartig zur abstrakten Malerei, die sich sodann durch ihre Aufwerfungen verselbständigt. Im nächsten Augenblick kippt die Perspektive und wir entdecken inmitten der Farbrillen die schmutzige Wäsche und die Stofffetzen auf und unter dem Teppich … Dabei hat in dieser Ausstellung alles so schön begonnen, mit den Tieren, die still aus den Regalschränken herauswachsen und eine verwunschene Welt erschaffen. Auch andere Beiträge beziehen sich auf Tiere, wie das brutal auf Funktionalität getrimmte Objekt von Lutz Bacher („Mustang“) oder der Vogelkäfig mit Widerhaken im Treppenhaus. Dieses wird durch eine Stehlampe erleuchtet, die von Joseph Zehrer stammt. Es ist ein Glück, dass der in Köln lebende österreichische Künstler in „Supermöbel“ mit zwei Objekten vertreten ist: Die Formen der Möbel und der Umgang mit ihnen bilden einen Hauptaspekt seines skulpturalen, viel zu wenig bekannten Schaffens.
Natürlich, wo Möbel sind, ist Design nicht fern. Das wird erst recht bei den drei glänzenden Abzugshauben von Nicole Wermers im ersten Stockwerk deutlich. Sie sind wahr und sie täuschen vor, repräsentieren Luxus und ergreifen als körperhafte Apparaturen von uns Besitz – man muss sich nur ihre Funktion vorstellen. Ganz nebenbei wird in der Ausstellung deutlich, dass es praktische Grundformen gibt, welche auf Gebrauch und die Konstitution des Menschen ausgerichtet sind und mit der Mode gehen. Dass Möbel sachlich lakonisch oder opulent gestaltet sein können. Wie weit das Spektrum der Materialien reicht. Dass ihre Oberflächen beschichtet, lackiert, changierend im Farbton sind oder auch nicht. Folglich möchte man sich auf diese Objekte setzen oder sie wenigstens berühren: Aber es ist Kunst, mit einem Lächeln im Gesicht.
Supermöbel | bis 4.5. | Kölnischer Kunstverein | 0221 21 70 21
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