In den Supermärkten gibt es seit Wochen Stollen und Lebkuchen. Ein Zeichen, dass sich das Jahr dem Ende nähert. Doch vorher müssen wir durch den November, den meiner Ansicht nach trübsten Monat. September und Oktober schmücken sich oft mit einem goldenen Herbst, März und April trumpfen mit Ostern, Dezember läutet die Vorfreude auf Weihnachten ein, und die Monate Mai bis August werden wegen Frühling und Sommer von allen geliebt. Doch dem November will man einfach ein großes „No!“ hinterherrufen. Grau und nass, kalt und neblig, ist dieser schmucklose Monat allerdings die beste Zeit zum Filme gucken. Raus aus dem Schmuddelwetter, rein ins Kino, wo in diesem Monat viele ernste und tiefgründige Filme warten.
Ein Film in der kommenden Ausgabe, auf den ich mich aber schon jetzt freue, ist „Anemone“. Darin gibt es endlich ein Wiedersehen mit Daniel Day-Lewis, der seit „Mein wunderbarer Waschsalon“ für mich zu den ganz großen Schauspielern zählt. Kein Bling-Bling-Star aus Hollywood, sondern einer, der nuancierte, tiefgründige Rollen verkörpert. Der dreifache Oscar-Preisträger zog sich 2017 vom Filmgeschäft zurück. Doch nun ist er im Regiedebüt seines Sohnes Ronan, mit dem er auch das Drehbuch schrieb, wieder auf der Leinwand zu sehen. Der Film dreht sich um die komplexen Beziehungen zwischen Vätern, Brüdern und Söhnen und deren Umgang mit persönlichen Erinnerungen und Generationskonflikten. Ein Film, der bestimmt für viel Gesprächsstoff nach dem Kinobesuch sorgen wird.
Das gilt auch für die Filme in dieser Ausgabe, etwa dem nach Leichtigkeit klingenden, aber alles andere als leicht verdaulichen Film „Im Schatten des Orangenbaums“: Die palästinisch-amerikanische Regisseurin Cherien Dabis erzählt eine Mehrgenerationengeschichte, die sich von den 1940ern bis in die heutige Zeit erstreckt und das Jahrzehnte andauernde Leid der Palästinenser am Beispiel einer gutbürgerlichen Familie schildert. Fiktion und Geschichte verschmelzen zu einer Erzählung, die die komplexen historischen Details des Konflikts verständlicher macht. Ein wichtiger Film in diesen Zeiten.
Auch im diesjährigen Cannes-Absahner „The Secret Agent“ verschmelzen Fakten und Fiktion. Der fast dreistündige brasilianische Neo-Noir-Polit-Thriller, der in der Zeit der Militärdiktatur spielt, erinnert daran, wie gefährlich das Leben für Widerstand leistende Menschen ist. Kleber Mendonça Filho wurde als Bester Regisseur, sein Hauptdarsteller Wagner Moura als bester Schauspieler ausgezeichnet. Neben vielen internationalen Preisen erhielt der Film kürzlich auf dem Film Festival Cologne den Hollywood Reporter Award als bester fiktionaler Beitrag. „Ich sterbe, kommst du?“ schildert die letzten Lebenswochen einer Frau mit Krebs und wie sie lernen muss, mit sich und ihrem kurzen Leben Frieden zu schließen. Für die Hauptrolle wurde Jennifer Sabel gerade mit dem Deutschen Schauspielpreis 2025 ausgezeichnet.
Nicht ganz so düster, aber auch keine leichte Kost ist Neele Vollmars „Dann passiert das Leben“ mit Anke Engelke und Ulrich Tukur. Sie spielen ein langjähriges Ehepaar, das nach der Pensionierung von Tukurs Figur in eine Sinnkrise schlittert.
Auch in „Yunan“, Ameer Fakher Eldins zweitem Film seiner geplanten Homeland-Trilogie über Menschen im Exil, geht es um persönliche Krisen und um Antworten auf die großen Fragen des Lebens.
Im Dezember können Sie sich dann wieder auf Leichteres freuen.
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