„… schien es mir mehr und mehr, dass meine Gäste nicht gegangen waren, sondern vielmehr mich hier zurückgelassen hatten.“ Diesen schwermütigen Satz gab es am 6. Mai 2020 zu lesen.
„Es war ein Gefühl, als würde ich allmählich verblassen, so wie allmählich das von draußen hereinfallende Licht abnahm und verlief mit den leisen Tönen, die aus den Lautsprechern zu fließen schienen.“ Diesen Satz einige Tage später, am 10. Mai.
Beide Sätze beschreiben dasselbe Gefühl, das Viele damals im Corona-Lockdown auch gespürt haben dürften. Sie beziehen sich aufeinander, und sie gehören beide zum selben Roman. Es sind die Sätze #37 und #41 aus dem – wie er es nennt – „Word in Progress“-Projekt des Kölner Autors Alexander Bach. Jeden Tag schreibt er diese Geschichte um einen Satz weiter und veröffentlicht sie online – seit über drei Jahren!
Satz #1111, das „rheinische Jubiläum“, lautete am 15. April: „Alles an diesem Tag schien eine einzige Bewegung des geführten Umkreisens zu sein.“ Ähnlich gemächlich schreitet die Handlung voran, nimmt sich Zeit für Reflexionen und Betrachtungen. Damit spiegelt sie die Art, wie sie gelesen wird. Jeden Tag ein Satz. Das hat Zeit zum Wirken. Auf der Plattform Patreon.com, wo Kreative und Künstler ihre Inhalte auf einer gestaffelten monatlichen Flatrate-Basis veröffentlichen können, erscheinen diese „Tagessätze“. Hier haben Leser dann auch die Möglichkeit, jeden einzelnen Satz zu kommentieren und zu diskutieren. Auf diesem Level findet Kommunikation zwischen Lesern und Autor nicht oft statt.
Das Experiment erhält seinen Reiz nicht zuletzt dadurch, dass man ihm beim Wachsen zusehen kann. Anfangs war selbst für Alexander Bach unklar, ob es nicht eine Kurzgeschichte wird. Mittlerweile zeichnet sich ein Roman ab. Die Handlung, so Bach, existiere bereits grob in seinem Kopf, aber der Text entstehe tatsächlich jeden Tag Schritt für Schritt.
Alexander Bach: Tagessätze | online unter www.patreon.com/alexanderbach | 5€ / Monat | www.andersvorgestellt.de
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