„Josef Roths Roman „Hiob" ist in diesem Jahr Abi-Prüfungsstoff, und so ließen es sich die städtischen Theater in Köln und Bonn nicht nehmen, das Stück auf den Spielplan zu setzen. Und als drittes im Bund zeigt auch das Svetlana Fourer Ensemble den Stoff um den tief gläubigen Thoralehrer Mendel Singer, der mit Ehefrau und vier Kindern in einem Stetl in der russischen Provinz lebt. Der Abend im Freien Werkstatt Theater beginnt allerdings mit einer vermeintlich persönlichen Emigrationsgeschichte. Die Schau- und Puppenspielerin Julia Brettschneider erzählt wie sie mit ihrer Familie Russland verlassen hat und nach Deutschland kam. Es wird das einzige Mal sein, dass an diesem eine unmittelbare Aneignung oder gar Identifikation mit Mendel Singers Geschichte stattfindet. Danach werden Brettschneider und ihre Kollegin Wiebke Alphei Joseph Roths Parabel eher erzählen und vorführen statt spielen – auch wenn sie gelegentlich in eine Rolle schlüpfen.
Als theatrales Mittel steht dabei Papier im Zentrum, mal auf- und ausgerollt wie eine Thora-Rolle. Papier wird zu Schnipseln oder Zetteln zerrissen, als ob es Gebetszettel wären. Die Umrisse von drei der vier Kinder Mendels werden aufgemalt, ausgeschnitten und zu kleinen Figuren zusammengeknüllt. Ein konzentriertes Spiel, das spielerisch zwischen der Schriftlichkeit vom Roman und dem Judentum als Schriftreligion changiert, als Symbol aber allmählich etwas überstrapaziert wird. Am Faszinierendsten sicherlich die fast realistische Puppe des jüngsten Sohnes Menuchim, die von den beiden Frauen mit bewegender Eindringlichkeit geführt wird. Dass der Vater im Vertrauen auf Gott die Behandlung der Epilepsie verhindert, dass Menuchim anfangs nur ein Wort spricht, dass er schließlich bei Mendels Emigration in die USA zurückgelassen wird, überwältigt. Der fatale Nebeneffekt: Mendel und sein Zweifel an Gott angesichts der herabprasselnden Schicksalsschläge geraten in den Hintergrund. So gerät Mendels Bekehrung zu seinem Glauben, als er Menuchim als angesehenen Musiker in Amerika wiedertrifft, zum Beiwerk. Verschenkte Epiphanie.
„Hiob" | R: Svetlana Fourer | Freies Werkstatt Theater | 8.5., 9.5. 20 Uhr | 0221 327817
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