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Matías Martínez rät journalistischen Medien zur Transparenz, um Vertrauen zu schaffen
Foto: Sebastian Wolf

Pakt mit dem Fakt

28. August 2025

Teil 3: Lokale Initiativen – Das Zentrum für Erzählforschung an der Uni Wuppertal

Der Fall Claas Relotius erschütterte 2018 den deutschen Journalismus: Ein vielfach preisgekrönter Reporter hatte über Jahre hinweg Reportagen gefälscht – ausgerechnet beim Spiegel, der für strenge Faktenprüfung steht. Der Schaden war enorm: für das Magazin selbst und für die gesamte Branche, in der seitdem verstärkt Glaubwürdigkeit und Medienvertrauen diskutiert werden.

Denn Journalismus lebt vom sogenanntenFaktualitätspakt: dem unausgesprochenen Versprechen, dass das Erzählte wirklich geschehen ist. „Dass ein solcher Pakt besteht, erkennt man besonders deutlich dann, wenn er enttäuscht wird, etwa im Fall Relotius“, sagt Matías Martínez, Professor für Neuere deutsche Literaturgeschichte und Gründungsdirektor des Zentrums für Erzählforschung (ZEF) an der Bergischen Universität Wuppertal. Das ZEF besteht seit 2006 und forschte anfangs vor allem zu fiktionalem Erzählen. Heute setzt es sich ebenso mit faktualem Erzählen auseinander, etwa mit den journalistischen Textsorten Nachricht, Bericht und Reportage.Anders als die Fiktion beansprucht faktuales Erzählen durchweg, auf die Wirklichkeit zu referieren. Kurz: Die Fakten müssen stimmen.

Versprechen: Wahrheit

Nicht nur Fälschungen, sondern auch ästhetische Gestaltungsmittel können zum Problem werden, etwa wenn Reportagen Gedanken oder Gefühle von Personen ohne Belege wiedergeben. „Solche Verfahren steigern die Wirkung und machen die Texte oft spannender, können aber die Grenze zum Fiktiven überschreiten“, warnt Martínez.

Besonders problematisch wird es, wenn Medien die Wirkung über die Wahrheit stellen. So leben Boulevardformate von Emotionalisierung und treffen dabei auf eine psychologische Grundstruktur: „Unsere Standardeinstellung ist, zunächst zu glauben, was man uns erzählt“, so Martínez. Inhalte, die Erwartungen bestätigen, erscheinen glaubwürdiger, auch wenn sie falsch sind. Umgekehrt: Wer überraschende oder unbequeme Wahrheiten berichtet, läuft Gefahr, als unglaubwürdig zu gelten. Vorsicht sei auch geboten bei der Nutzung Künstlicher Intelligenz im Journalismus. „Wenn wir irgendwann nur noch Texte lesen, die von KI stammen, wird das einen massiven Vertrauensverlust nach sich ziehen“, warnt Martínez.

Vertrauen zurückgewinnen

Wie lässt sich verlorenes Vertrauen der Öffentlichkeit zurückgewinnen? Martínez betont, dass hier Transparenz wichtig ist: „Ich vertraue Nachrichten besonders, wenn sie ihre Quellen offenlegen und idealerweise auch deren Glaubwürdigkeit einschätzen.“ Darüber hinaus schlägt er eine Stärkung der sogenanntenFaktualitätskompetenz vor, also der Fähigkeit, Texte kritisch zu reflektieren und zwischen glaubwürdiger und manipulativer Erzählweise zu unterscheiden. Solche Kompetenzen könnten etwa im Schulunterricht vermittelt werden. Besonders gut eigne sich dazu die Analyse von Fälschungen oder von Texten, die sowohl fiktional als auch faktual erzählen.

Vertrauensprobleme führen auch zu ökonomischen Schwierigkeiten: Sinkt die Glaubwürdigkeit, sinken die Abonnentenzahlen und mit ihnen die Mittel für Recherchen, was weitere Vertrauensverluste zur Folge haben kann – ein Teufelskreis. Einfache Lösungen sieht Martínez nicht: „Die Finanzierung ist ein altes Problem des Journalismus, das sich gerade noch einmal verschärft.“ Das gefährde auch die journalistische Unabhängigkeit: Geldgeber nutzen die Situation aus und nehmen redaktionellen Einfluss – wie etwa Jeff Bezos nach seiner Übernahme der Washington Post.

Journalismus erlebt eine unsichere Zeit. Gerade angesichts dessen braucht es Erzählformen, die transparent und überprüfbar sind. Und einen Journalismus, der sich an Fakten hält.

Lutz Werner

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