Köln gilt als tolerant und weltoffen. Karneval, kölsche Lebensart und kulturelle Vielfalt machen die Stadt gerade für junge Menschen attraktiv. Politisch zeigt sich das deutlich: Während die AfD bei der Bundestagswahl bundesweit 20,8 Prozent holte, kam sie in Köln nur auf etwa die Hälfte. Doch die Domstadt hat auch eine andere Seite: Mit 369 rechtsextremen Straftaten lag Köln 2024 an der Spitze in NRW, eine Zunahme von fast 140 Prozent gegenüber 2023. Multikulturelle Lebensfreude und rechtsextreme Gewalt – wie passt das zusammen?
Herausforderungen gestiegen
Antworten kennt Hans-Peter Killguss, Leiter des Bereichs Gegenwart im NS-Dokumentationszentrum. Sein Team bietet Beratung, Workshops, Ausstellungen und Bildungsarbeit gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus an. Anlass der Gründung war der Aufschwung rechter Parteien Anfang der 2000er: 2004 zog die islamfeindliche Wählergruppe Pro Köln mit 4,7 Prozent in den Stadtrat ein, 2009 erreichte sie über 5 Prozent. Mittlerweile ist Pro Köln Geschichte, die Herausforderungen sind jedoch geblieben: „Heute würde man fünf Prozent als sehr wenig sehen, wenn man die AfD-Ergebnisse betrachtet“, sagt Killguss.
Gesellschaftliche Unsicherheiten
Zwar ist die AfD gerade bei jungen Menschen in Köln schwach: 5,9 Prozent der 18- bis 25-jährigen Kölner wählten sie bei der letzten Bundestagswahl – doch das sind mehr als Pro Köln je erreicht hat. Bundesweit zeigt sich, dass rechte Ideen auch bei Jüngeren wieder anschlussfähig werden.
Killguss sieht gesellschaftliche Unsicherheiten als Nährboden: „Krise der Demokratie, Kriege, Klimakrise – in solchen Zeiten verspricht das rechte Angebot Sicherheit und einfache Antworten, wo demokratische Analysen notwendigerweise komplexer sind.“ Besonders junge Männer seien anfällig für rechte Ideologien: „Du bist ein echter Mann, es gibt zwei Geschlechter – du musst dich nicht mit vielen Fragen rumschlagen. Das schafft Sicherheit in Zeiten der Unsicherheit.“ Auch die etablierten Parteien sieht er in der Verantwortung, etwa wenn Migration ausschließlich als Problem dargestellt werde. Dazu kommen soziale Medien, die als Katalysator rechter Identitätsangebote dienen. Der Fall scheint klar: Je weiter Politik und Gesellschaft nach rechts rücken, desto mehr Straftaten gibt es. Ganz so einfach ist es aber nicht.
Rechtsruck auch durch demokratische Parteien
Rechte Ideen können zu Gewalt ermutigen, ein direkter Kausalzusammenhang lässt sich laut Killguss aber nicht immer wissenschaftlich darlegen. Die Gründe seien vielfältiger. Unter anderem könne auch ein verändertes Anzeigeverhalten durch eine aufmerksamere Zivilgesellschaft zu einer erhöhten Erfassung rechtsextremer Straftaten führen. Klar ist aber: Rechtsextreme Gruppen treten immer wieder öffentlich auf. „Diese Gruppen kommen zum Beispiel zum CSD nach Köln, pöbeln, greifen Menschen an – das schafft Aufmerksamkeit“, erklärt Killguss. So wird auch eine weltoffene Stadt wie Köln zum Schauplatz rechter Gewalt. Meist handle es sich dabei aber um nur wenige militante Aktivisten.
Kürzungen bei Bildung und Jugendhilfe
Von rechten Massenbewegungen ist Köln also weit entfernt, dennoch bleibt Prävention wichtig. Sie müsse an Schulen, in Jugendzentren und Vereinen ansetzen. Killguss: „Ich muss Lern- und Diskussionsräume haben, wo ich mich ausprobieren kann und ich selbst sein darf.“ Statt Abschottung brauche es mehr politische Bildung – und stabile Strukturen. „Leider werden gerade unter anderem im Bildungsbereich oder der Jugendhilfe Ressourcen gekürzt“, kritisiert Killguss. Deshalb seien auch Eltern, Freunde, Lehrkräfte gefordert. Mit Vertrauen, klarer Haltung und Beständigkeit können sie verhindern, dass rechte Parolen noch mehr junge Köpfe erreichen.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Ich, Menschenfeind
Intro – Mehrheiten und Wahrheiten
Hakenkreuze auf dem Schulklo
Teil 1: Leitartikel – Wo Politik versagt, haben Rechtsextremisten leichtes Spiel
„Man hat die demokratischen Jugendlichen nicht beachtet“
Teil 1: Interview – Rechtsextremismus-Experte Michael Nattke über die Radikalisierung von Jugendlichen
Die Unfähigkeit der Mitte
Teil 2: Leitartikel – Der Streit ums AfD-Verbot und die Unaufrichtigkeit des politischen Zentrums
„Die Chancen eines Verbotsverfahren sind relativ gut“
Teil 2: Interview – Rechtsextremismus-Forscher Rolf Frankenberger über ein mögliches Verbot der AfD
Antifaschismus für alle
Teil 2: Lokale Initiativen – Der Bochumer Antifa-Treff
Faschismus ist nicht normal
Teil 3: Leitartikel – Der Rechtsruck in Politik und Gesellschaft – und was dagegen zu tun ist
„Radikalisierung beginnt mit Ungerechtigkeitsgefühlen“
Teil 3: Interview – Sozialpsychologe Andreas Zick über den Rechtsruck der gesellschaftlichen Mitte
Nicht mit uns!
Teil 3: Lokale Initiativen – Das zivilgesellschaftliche Netzwerk Wuppertal stellt sich quer
Stoppzeichen für Rassismus
Die Bewegung SOS Racisme – Europa-Vorbild: Frankreich
Wenn dir das reicht
Demokraten und Antidemokraten in der Demokratie – Glosse
Von Autos befreit
Teil 1: Lokale Initiativen – Einst belächelt, heute Vorbild: Die Siedlung Stellwerk 60 in Köln
Unter Fledermäusen
Teil 2: Lokale Initiativen – Der Arbeitskreis Umweltschutz Bochum
Für eine gerechte Energiewende
Teil 3: Lokale Initiativen – Das Wuppertaler Forschungsprojekt SInBa
Gesundheit ist Patientensache
Teil 1: Lokale Initiativen – Die Patientenbeteiligung NRW in Köln
Gemeinsam statt einsam
Teil 2: Lokale Initiativen – Wohnen für Senior:innen bei der Baugenossenschaft Bochum
Verbunden für die Gesundheit
Teil 3: Lokale Initiativen – Wuppertals Selbsthilfe-Kontaktstelle unterstützt Bürgerengagement
Jetzt erst recht
Teil 1: Lokale Initiativen – Parents for Future in Köln
Gegen digitalen Kolonialismus
Teil 2: Lokale Initiativen – Der Chaospott Essen klärt über Technik und Datenschutz auf
Als Bürger wahrgenommen werden
Teil 3: Lokale Initiativen – Lernbehinderte in der KoKoBe erheben ihre politische Stimme.
Zwischen Blüte und Bürokratie
Teil 1: Lokale Initiativen – Der Cannabas-Club e.V. und der neue Umgang mit Cannabis
Suchthilfe aus der Ferne
Teil 2: Lokale Initiativen – Online-Projekt des Evangelischen Blauen Kreuzes in NRW hilft Abhängigen
Teufelskreis im virtuellen Warenkorb
Teil 3: Lokale Initiativen – Die Caritas-Suchthilfe hilft auch bei Kaufsucht weiter