Im Herbst 1983, kurz nachdem Jean-Marie Le Pens Front National seine erste Wahl in Dreux, Nordfrankreich, gewonnen hatte, marschierten tausende junge Menschen mit nordafrikanischer Herkunft oder Familiengeschichte durch Frankreich, um gegen Rassismus zu protestieren. Der „marche des beurs“ (beurs ist die französische, umgangssprachliche Bezeichnung für Araber) vereinte mehrere Wochen später mehr als 100.000 Demonstrierende in Paris und markierte einen Wendepunkt im öffentlichen Bewusstsein. Frankreichs Gesellschaft hatte genug von Diskriminierung und Ausgrenzung. So wurde 1984 SOS Racisme gegründet, mit dem Ziel, Gleichheit und Brüderlichkeit zu fördern und alle Formen rassistischer Diskriminierung zu bekämpfen.
Die gelbe Hand mit dem Slogan „Touche pas à mon pote!“ (Fass meinen Freund nicht an!) wurde zum Symbol der Bewegung. Von Anfang an verwendete SOS Racisme praktische Methoden, legte beispielsweise Diskriminierung in Bewerbungsverfahren offen und schuf vor Gericht Präzedenzfälle.
Politische Ergebnisse
Der Einfluss von SOS Racisme auf die französische Gesellschaft ist kaum zu überschätzen. Die Organisation hat nicht nur die Stimmung der Gesellschaft verändert, sondern auch direkte Auswirkungen auf die politische Agenda gehabt. Ein wichtiger Schritt war die Mitwirkung an der Gründung eines eigenen französischen Integrationsministeriums. Etwas Neues in Europa. Es machte den Kampf gegen Rassismus zu einem Teil der Regierung und machte die Integration von 1991 bis 2012 zur Hauptaufgabe des Staates. 2012 wurde es mit dem Innenministerium zusammengelegt, um die Verwaltung zu vereinfachen.
SOS Racisme wusste, wie man eine breite Palette von sozialen Gruppen zusammenbringt. Das Engagement reichte von Konzerten und Demonstrationen bis zur Aufklärung an Schulen und Universitäten. Die Bewegung reagierte flexibel auf neue Herausforderungen, wie den Aufstieg rechtsextremer Parteien und die zunehmende gesellschaftliche Polarisierung.
Über Frankreich hinaus
SOS Racisme hatte nicht nur in Frankreich Erfolg. In vielen europäischen Ländern wurde die gelbe Hand zum Zeichen für den Kampf gegen Rassismus. Von Portugal über die Schweiz bis nach Deutschland. Die Methoden und Werte der Organisation inspirierten viele Gruppen.
Die deutsche Gruppe Mach meinen Kumpel nicht an! ist ein Beispiel dafür. Die Gruppe übernahm das Handsymbol und die Hauptidee hinter SOS Racisme, als sie 1986 gegründet wurde. Der „Kumpelverein“ setzt sich als gewerkschaftliche Initiative für Gleichbehandlung und Chancengleichheit ein, vor allem am Arbeitsplatz. Der Verein setzt Zeichen gegen Rassismus und Rechtsextremismus durch Wettbewerbe, Bildungsprojekte und Kampagnen.
Viele Wege, ein Ziel
SOS Racisme und Mach meinen Kumpel nicht an! arbeiten in unterschiedlichen sozialen Kontexten, beide wollen die Gesellschaft offener und solidarischer machen. Beide Gruppen setzen auf Prävention, Aufklärung und die Mobilisierung der Zivilgesellschaft.
Die Vision lebt
SOS Racisme, gegründet vor rund vierzig Jahren, ist nach wie vor eine der wichtigsten Stimmen im Kampf gegen Rassismus in Europa. Die Bewegung hat gezeigt, dass Engagement in der Zivilgesellschaft politische Veränderung bewirken kann. Die gelbe Hand ist ein starkes Zeichen für Mut, Zusammenhalt und die Überzeugung, dass jeder Mensch ein „Kumpel“ ist, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder Glaube.
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Ich, Menschenfeind
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