Der aktuelle Rechtsruck ist in aller Munde. Demokratische Kräfte sind alarmiert, während die Anhängerschaft von Parteien wie der AfD sich bestätigt fühlt. Das sorgt dafür, dass immer aggressiver gehetzt wird, im Internet, im Alltag oder in den Parlamenten vom Stadtrat bis zum Europaparlament.
Auch der Verfassungsschutz, der in der Kritik steht, auf dem rechten Auge blind zu sein, stuft die AfD als „gesichert rechtsextrem“ ein. Damit nicht genug: Die Behörde warnt, dass neonazistische Jugendgruppen eine Gefahr für Leib und Leben von politischen Gegnern, Migranten oder queeren Menschen darstellen. Gegen Auftritte und Aufmärsche von Neonazis gibt es erfreulicherweise vielfach Proteste. Auch auf den Social Media Kanälen wird dem braunen Spuk, hinter dem ganze Medienunternehmen stehen, nicht das Feld überlassen.
Grundhaltung von Millionen
Dennoch wirkt sich der Rechtsruck direkt auf Gesellschaft und Politik aus: Erhält eine aggressiv-rechte Partei wie die AfD bei Wahlen über 20 Prozent, dann ist das nicht nur ein katastrophales Ergebnis für die demokratischen Kräfte. Es zeigt darüber hinaus eine Grundhaltung von Millionen Menschen, die das soziale Miteinander beeinflusst.
Diese Grundhaltung befördert eine Entsolidarisierung, eine Verrohung, eine steigende Akzeptanz für Positionen, die sich gegen vermeintlich Fremde richten, gegen Schwächere, gegen Arme usw. Verhängnisvoll ist, dass solche menschenfeindlichen Positionen so zunehmend als normal gelten. Viele Menschen empfinden sie nicht als rechts und sind empört, wenn ihnen zutreffend vorgehalten wird, dass die Leugnung der Gleichwertigkeit von Menschen die Grundlage faschistischen Denkens ist. Andere winken ab und verweisen darauf, dass es in Ländern wie den USA oder Ungarn noch schlimmer sei, eine bürgerliche Demokratie müsse das aushalten.
Grundlage des Faschismus
Wenn der damalige Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) kurz vor der Bundestagswahl versucht, mit den Stimmen der AfD kleinste Fortschritte der Ampel in der Asylpolitik wieder zu kippen, ist das Ausdruck des Rechtsrucks. Wenn Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) die Bundespolizei rechtswidrig anweist, Schutzsuchenden bei Binnengrenzkontrollen die Einreise zu verweigern, ist das Teil des Rechtsrucks. Wenn die Bundesregierung der zivilen Seenotrettung Gelder streicht, ist das Teil des Rechtsrucks.
Und wenn der jetzige Bundeskanzler Friedrich Merz bei Maischberger erklärt, es müsse keine Regenbogen-Fahne zum Christopher Street Day (CSD) am Bundestag gehisst werden, dieser sei ja kein Zirkuszelt, ist das ein verbaler Schlag gegen Menschen, die vielleicht gerade noch auf dem CSD von Rechten beschimpft, bedroht oder verletzt wurden. Dergleichen passiert nicht unbewusst, es ist eine Mischung aus Kalkül und Opportunismus. Die Union lässt sich von ganz rechts treiben und schaut, wie weit sie gehen kann. Den ganz Rechten das Wasser abgraben, indem man ihre Forderungen erfüllt – oder sind Teile des bürgerlichen Lagers selbst so weit nach rechts gerückt, dass sie nur einen kleinen Schubs brauchen? Ein aktuelles Beispiel ist das BSW, das der AfD-Spitze offizielle Gespräche anbietet.
Für Humanismus einstehen
Was bleibt zu tun? Widersprechen! Und zwar immer, wenn demokratische Errungenschaften angegriffen werden, auch aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft. Haltung gegen jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zeigen, das geht am besten zusammen. So wie es sich gerade entwickelt, muss es nicht bleiben oder werden. Aber das erfordert, für ein humanistisches Weltbild aktiv einzutreten. Übrigens: Am 14. September sind Kommunalwahlen.
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Ich, Menschenfeind
Intro – Mehrheiten und Wahrheiten
Hakenkreuze auf dem Schulklo
Teil 1: Leitartikel – Wo Politik versagt, haben Rechtsextremisten leichtes Spiel
„Man hat die demokratischen Jugendlichen nicht beachtet“
Teil 1: Interview – Rechtsextremismus-Experte Michael Nattke über die Radikalisierung von Jugendlichen
Zwischen Krawall und Karneval
Teil 1: Lokale Initiativen – Der Bereich Gegenwart im Kölner NS-Dok klärt über Rechtsextremismus auf
Die Unfähigkeit der Mitte
Teil 2: Leitartikel – Der Streit ums AfD-Verbot und die Unaufrichtigkeit des politischen Zentrums
„Die Chancen eines Verbotsverfahren sind relativ gut“
Teil 2: Interview – Rechtsextremismus-Forscher Rolf Frankenberger über ein mögliches Verbot der AfD
Antifaschismus für alle
Teil 2: Lokale Initiativen – Der Bochumer Antifa-Treff
„Radikalisierung beginnt mit Ungerechtigkeitsgefühlen“
Teil 3: Interview – Sozialpsychologe Andreas Zick über den Rechtsruck der gesellschaftlichen Mitte
Nicht mit uns!
Teil 3: Lokale Initiativen – Das zivilgesellschaftliche Netzwerk Wuppertal stellt sich quer
Stoppzeichen für Rassismus
Die Bewegung SOS Racisme – Europa-Vorbild: Frankreich
Wenn dir das reicht
Demokraten und Antidemokraten in der Demokratie – Glosse
Keine Frage der Technik
Teil 1: Leitartikel – Eingriffe ins Klimasystem werden die Erderwärmung nicht aufhalten
Der Ast, auf dem wir sitzen
Teil 2: Leitartikel – Naturschutz geht alle an – interessiert aber immer weniger
Nach dem Beton
Teil 3: Leitartikel – Warum wir bald in Seegräsern und Pilzen wohnen könnten
So ein Pech
Teil 1: Leitartikel – Opfer von Behandlungsfehlern werden alleine gelassen
Heimat statt Pflegeheim
Teil 2: Leitartikel – Seniorengerechtes Bauen und Wohnen bleibt ein Problem
Privatvergnügen
Teil 3: Leitartikel – Die Zweiklassenmedizin diskriminiert die Mehrheit der Gesellschaft
Bloß der Wille fehlt
Teil 1: Leitartikel – Die Politik zulasten der Ärmsten gefährdet den sozialen Frieden
Peitsche namens KI
Teil 2: Leitartikel – Beschäftigte werden mit neuester Technologie massenhaft überwacht.
Armut wählen
Teil 3: Leitartikel – Zur politischen Kultur Deutschlands
Lebensqualität gegen Abwärtsspirale
Teil 1: Leitartikel – Drogensucht ist kein Einzelschicksal, sie hat gesellschaftliche Ursachen
Gute Zeiten für Verführer
Teil 2: Leitartikel – Das Spiel mit dem Glücksspiel
Konsum außer Kontrolle
Teil 3: Leitartikel – Was uns zum ständigen Kaufen treibt